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BGHZ 62, 314 et seq.

Title
BGHZ 62, 314 et seq.
Content

314
I. Landgericht Frankfurt (Main)
II. Oberlandesgericht Frankfurt (Main)

Tatbestand

Die Klägerin mietete durch schriftlichen Vertrag vom 26. April 1956 von dem Beklagten ein 1 045 qm großes unbebautes Grundstück an der D Landstraße in F. Dort und auf dem benachbarten, ebenfalls von ihr gemieteten Grundstück der Geschwister M betreibt sie eine Tankstelle. Die Tankstellenbauten hat sie selbst errichtet. Der Mietvertrag mit dem Beklagten wurde fest bis 31. Dezember 1981 abgeschlossen und der Mietzins auf monatlich 150 DM festgesetzt. § 4 des Mietvertrages (MV) lautet in Absatz 2 und 3:

"Sollte das wirtschaftliche Wertverhältnis von Leistung und Gegenleistung eine so wesentliche Verschiebung erfahren, daß den Parteien eine Fortsetzung des Vertrages zu den vereinbarten Mietzinssätzen nicht zugemutet werden kann, so ist jede Partei verpflichtet, auf Verlangen der Gegenpartei, in Verhandlungen über die Anpassung des Mietzinses einzutreten.
Kommt eine Einigung zwischen den Parteien nicht zustande, unterwerfen sich die Parteien dem einzuholenden Schiedsgutachten der Industrie- und Handelskammer."

Für die Zeit ab April 1962 wurde der Mietzins durch Schiedsgutachten auf 450 DM erhöht. Ende 1970 verlangte der Be- 315
klagte eine Erhöhung der Miete auf monatlich 1 500 DM. Eine Einigung der Parteien kam nicht zustande. Die Miet- und Vergleichsstelle bei der Industrie- und Handelskammer F setzte durch Schiedsgutachten vom 5. April 1971 den Mietzins ab 1. Januar 1971 auf 2 011 DM fest. Mit den Vermietern des Nachbargrundstücks, M, hat sich die Klägerin auf einen Mietzins von 670 DM und eine Verlängerung des Mietvertrages bis 1996 geeinigt.

Gemäß § 319 Abs. 1 Satz 2 BGB verlangt die Klägerin eine Herabsetzung des Mietzinses auf 600 DM. Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren bisherigen Antrag weiter. Der Beklagte hat gebeten, die Revision zurückzuweisen.

Aus den Gründen:

I. Das Berufungsgericht führt aus, die Parteien hätten in § 4 MV keinen Maßstab festgelegt, nach welchem in dem Falle, daß eine Einigung über den Mietzins nicht zustande komme, dessen Anpassung zu geschehen habe. Der Schiedsgutachter habe deshalb frei wählen können, nach welchen Gesichtspunkten er den neuen Mietzins bemaß. Es sei nicht zu beanstanden, daß er eine 6 %ige Verzinsung des Verkehrswertes des Grundstücks für richtig gehalten habe und demgemäß zu einem Mietzins von 2 011 DM je Monat gekommen sei. Nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen Ma hätten sowohl der im Mietvertrag ausgehandelte Mietzins als auch derjenige des Jahres 1962 in etwa einer Verzinsung des Verkehrswertes von 6 % entsprochen. Da der jetzt festgesetzte Quadratmeterpreis von rd. 2 DM auch marktüblich sei, könne weder eine offenbare Unrichtigkeit noch eine offenbare Unbilligkeit des Schiedsgutachtens festgestellt werden.

II. Der Revision ist zuzugeben, daß diese Ausführungen rechtlichen Bedenken begegnen.

1. Dem Berufungsgericht ist zwar darin zu folgen, daß § 4 des Mietvertrages keinen konkreten Maßstab für die Bestimmung des Mietzinses festlegt. Der Schiedsgutachter konnte daher nach § 317 Abs. 1 BGB den Mietzins nach billigem Ermessen 316 bestimmen (BGH Urteil vom 20. Oktober 1971 – V ZR 137/71 = NJW 1973, 142 = WM 1973, 102).

Billiges Ermessen bedeutet aber nicht Willkür, und sie ist dann gegeben, wenn der Schiedsgutachter den Vertragsinhalt außer Acht läßt und nur die Interessen einer Partei berücksichtigt. So ist es hier.

2. Die Parteien haben in § 4 des Vertrages eine Anpassung des Mietzinses, sei es durch Vereinbarung, sei es durch Schiedsgutachten, davon abhängig gemacht, daß die Fortsetzung des Mietverhältnisses zu den vereinbarten Mietsätzen wegen wesentlicher Verschiebung des wirtschaftlichen Wertverhältnisses von Leistung und Gegenleistung unzumutbar geworden ist. Nicht jede wesentliche Wertverschiebung genügt also für eine Mietzinsänderung, sondern nur eine für einen der Vertragschließenden unzumutbare.

Wenn damit zunächst auch nur die – hier nicht bestrittene – Voraussetzung einer Anpassung der Miete geregelt wurde, so ist doch bereits zweifelhaft, ob nach Überschreitung der Zumutbarkeitsschranke nunmehr ohne weiteres etwa der ortsübliche oder angemessene Mietzins verlangt werden konnte, wie der Schiedsgutachter angenommen hat, ob nicht vielmehr ein Mietzins gelten sollte, der lediglich die Zumutbarkeit wieder herstellte. Doch kann das auf sich beruhen.

3. Denn keinesfalls war gewollt, der vom Schiedsgutachter zu bestimmende Mietzins habe der Miete zu entsprechen, welche in Betracht kam, wenn vertragliche Beziehungen bisher nicht bestanden hätten, sondern über dasselbe Grundstück zu denselben wirtschaftlichen Zwecken ein neuer Mietvertrag abzuschließen wäre. Nach dem Wortlaut des Vertrages war der Mietzins nämlich nicht neu festzusetzen, sondern anzupassen.

Mit Recht beanstandet die Revision, daß der Schiedsgutachter das übersehen hat und bei der Bestimmung des Mietzinses so verfahren ist, als hätten die Parteien einen neuen Mietvertrag geschlossen und ihm die Festsetzung der Miete nach dem Maßstabe der Ortsüblichkeit oder Angemessenheit übertragen. Gegen dieses vom Berufungsgericht gedeckte Verfahren des Schiedsgutachters bestehen deshalb Bedenken, weil die Klägerin zwar vom Abschluß eines neuen Vertrages hätte Abstand nehmen können, falls sie ihre Vorstellungen über den Maßstab des noch festzusetzenden Mietzinses nicht durchzusetzen vermocht hätte. Im Rahmen eines fest abgeschlossenen langjährigen Mietvertrages hingegen könnte ihr, wenn die Auffassung des Schiedsgut317 achters richtig wäre, eine ihr ungünstige Mietzinsregelung aufgezwungen werden, die mit den Wertvorstellungen der Parteien zur Zeit des Vertragsabschlusses nicht in Einklang zu bringen ist.

Das gleiche gälte übrigens für die Beklagte, wenn der Schiedsgutachter unter der Voraussetzung, es handle sich um die Festsetzung eines neuen Mietzinses einen Maßstab gewählt hätte, der der Beklagten einen Mietzins aufzwang, der mit dem Inhalt des bestehenden Vertrages in Widerspruch stünde.

4. Vor allem aber hat der Schiedsgutachter, jedenfalls im Ergebnis, einseitig die Interessen des Beklagten berücksichtigt, indem er die Miete ausschließlich auf der Grundlage einer Verzinsung des Grundstücksverkehrswertes mit 6 % errechnete. Hiergegen mag unter dem Gesichtspunkt des billigen Ermessens (§ 317 Abs. 1 BGB) in Zeiten normaler Preisentwicklung an sich grundsätzlich nichts einzuwenden sein. Die über die stetige Geldentwertung hinausgehende, extreme, weithin als wirtschaftlich ungesund empfundene Entwicklung der Bodenpreise allein zum Maßstab der Mietpreisanpassung im Rahmen eines bestehenden Mietvertrages zu machen, geht jedoch nicht an, und ist, wenn nicht offenbar unrichtig, so jedenfalls offenbar unbillig, weil sie den in der drastischen Werterhöhung steckenden, allein dem Vermieter zugute kommenden Vorteil einseitig zum Nachteil des Mieters ausschlagen läßt.

Das vom Berufungsgericht verwertete Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen M stellt für die Zeit von 1956 bis 1962 eine Steigerung der Grundstückspreise an der D Landstraße um rd. 207 % fest. Das mag zwar über das Maß der Erhöhung der seinerzeit bereits freigegebenen gewerblichen Mieten hinausgehen, war aber angesichts des vom Sachverständigen M mit Recht verwerteten Umstandes, daß erst 1960 der jahrzehntelang bestehende Preisstopp für die Preise unbebauter Grundstücke be- 318 seitigt worden war, nicht befremdend. Von 1962 bis Anfang 1971 stiegen die Grundstückspreise an der D Landstraße jedoch um weitere rd. 367 %. Es liegt auf der Hand, daß die Anpassung des Mietzinses nicht allein an der Verzinsung dieses durch Spekulation und die zunehmende Flucht in Grundstückswerte entstandenen Preises erfolgen kann; denn der Mietpreis wurde und wird auch in der Zeit weit überdurchschnittlich steigender Bodenpreise nicht ausschließlich nach der Verzinsung des Verkehrswertes, sondern auch bei Neuabschlüssen an den marktwirtschaftlichen Maßstäben der Angemessenheit oder Ortsüblichkeit ausgerichtet. Kennzeichnend dafür ist, wovon auch das Berufungsgericht ausgeht, daß die Mieten nicht nur für frei finanzierten Wohnraum, sondern auch für Gewerberaum im Durchschnitt auch nicht annähernd eine gleiche Steigerung wie die Grundstückspreise mitgemacht haben.

Das Berufungsgericht meint zwar in Anlehnung an das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen, ein Mietzins von etwa 2 DM je qm, wie er vom Schiedsgutachter festgesetzt worden ist, sei marktüblich. Das kann dahinstehen; denn hierbei geht das Berufungsgericht zu Unrecht von den Verhältnissen aus, wie sie vorliegen, wenn ein neuer Mietvertrag abgeschlossen wird, bei dem es den Beteiligten, anders als hier, freisteht, die Preisvorstellungen der Gegenseite zu akzeptieren oder vom Vertragsschluß Abstand zu nehmen (s. o. Nr. II 3).

Unrichtig ist deshalb auch die Erwägung des Berufungsgerichts, der Beklagte wende der Klägerin langfristig nicht nur den objektiven Nutzungswert des Grundstücks zu, sondern verzichte zugleich auf eine ihm sonst anderweitig mögliche Verwertung des Grundstücks. Gedacht ist dabei ersichtlich an eine seit dem Bebauungsplan von 1971 zulässige drei- bis sechsgeschossige Bebauung der D Landstraße, auf die der Schiedsgutachter und der gerichtliche Sachverständige abgehoben haben, oder an eine Veräußerung des Grundstücks und den anderweitigen Einsatz der dadurch erlangten Mittel. Das Berufungsgericht verkennt, daß der Beklagte sich durch den Abschluß des Mietvertrages mit der Klägerin bis Ende 1981 der Möglichkeit einer anderweitigen Verwendung des Grundstücks begeben hat. Für diese Zeit ist das 319 Grundstück bei der hier gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise nicht als Bauland anzusehen, das für die Errichtung rentabler Miethäuser zur Verfügung steht, oder das als solches entsprechend vorteilhaft veräußert werden kann. Für die Dauer des Mietvertrages handelt es sich auf Grund der eigenen 1956 getroffenen Entscheidung des Beklagten vielmehr um nichts anderes als ein unbebautes Grundstück, das für den Betrieb einer Tankstelle zur Verfügung steht. Das schließt eine Anpassung des Mietzinses ausschließlich anhand der Verzinsung des jetzigen Verkehrswertes des Mietgrundstücks aus.

5. Bei der nach billigem Ermessen vorzunehmenden Bestimmung des Mietzinses kann die Verzinsung des Verkehrswertes zwar Berücksichtigung finden. Sie kann aber nicht der einzige Faktor sein, auf dem die Festsetzung beruht. Hier, wo es um eine Mietzinsanpassung geht, ist auch der Prozentsatz, um den sich die gewerblichen Mieten, insbesondere für Tankstellen vergleichbarer Art und Lage erhöht haben von Bedeutung, sowie der Kaufkraftschwund, den die Deutsche Mark von 1962 bis 1971 allgemein erlitten hat, um den sich also der Wert der Leistung, die der Beklagte zu beanspruchen hat, vermindert hat (vgl. dazu die zur Frage der Anpassung des Erbbauzinses ergangenen Urteile vom 18. Oktober 1968 – V ZR 63/65 und vom 5. Februar 1971 – V ZR 172/69 = WM 1969, 62, 64 und 1971, 356, 357 = BGH Warn 1971 Nr. 32 = MDR 1971, 381).

Was bei Berücksichtigung dieser Umstände als nach billigem Ermessen festzusetzender Mietzins in Betracht kommt, kann der erkennende Senat, da es insoweit an tatsächlichen Feststellungen fehlt, nicht selbst entscheiden. Deshalb war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuen Prüfung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.

III. Die Entscheidung über die Kosten der Revision hängt vom Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache ab. Sie war deshalb gleichfalls dem Oberlandesgericht zu übertragen.

Referring Principles
A project of CENTRAL, University of Cologne.