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Deutscher Reichstag.2. Legislatur-Periode.
II. Session 1874.
Nr.6.
Berlin, den 29. Oktober 1874.
Im Namen Seiner Majestät des Kaisers beehrt sich der unterzeichnete Reichskanzler die beiliegenden Entwürfe einer Civilprozeß-Ordnung und eines Einführungs-Gesetzes zu derselben, wie solche vom Bundesrath beschlossen worden sind, nebst Begründung, dem Reichstage zur verfassungsmäßigen Beschlußnahme ganz ergebenst vorzulegen.
v. Bismarck.Am den Reichstag.
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§§ 792-813 (K.V. §§ 792-813, G. §§ 851-872)
Die Ansichten über den Werth der Schiedsgerichte sind sehr getheilt. Es kann den Gegnern derselben zugegeben werden, daß die Mängel des bisherigen Civilprozeßverfahrens das Bedürfniß, Rechtsstreitigkeiten durch Schiedsrichter entscheiden zu lassen, hervorrufen müssen, daß aber mit der Beseitigung dieser Mängel das Bedürfniß selbst beseitigt werde, läßt sich nicht erwarten. Denn, wie die Rechtsgeschichte lehrt, hat das Bedürfniß nach schiedsrichterlicher Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten unter der Herrschaft aller bisher zur Geltung gelangten Prozeßsysteme bestanden. Es ist daher die Annahme begründet, daß es auch fortbestehen werde, nachdem die Reform des Civilprozeßrechts für das Deutsche Reich durchgeführt ist, und demnach die Forderung gerechtfertigt, das schiedsrichterliche Verfahren auch nach dieser Reform beizubehalten. Es kann den Gegnern ferner eingeräumt werden, daß die Schiedsgerichte vielfach den Erwartungen nicht entsprochen haben, welche man in sie gesetzt hat, allein der Grund dieser Erscheinung liegt nicht in dem schiedsrichterlichen Institute als solchem, sondern in der verfehlten Regelung, welche dem schiedsrichterlichen Verfahren in dem Rechte der einzelnen zum deutschen Reiche gehörigen Reichsgebiete zu Theil geworden ist. "Wie ungenügend die Bestimmungen der preuß. A. G. O. I. 2 §§ 167-176, I. 30 §§ 48-56 sind, ist bekannt; die Verbesserung derselben wird allgemein als ein dringendes Bedürfniß betrachtet": so lautet das Urtheil der Motive zu dem Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für die preußischen Staaten S. 587. Die Bestimmungen des
Code de proc. art. 1003-1028, bemerkt der Bericht zu dem belgischen Entwurf, sind die Quelle zahlreicher Kontroversen geworden, da sie viel zu komplizirt sind und mit dem Ziele, welches erreicht werden soll, wenig in Einklang stehen. Noch ungünstiger ist Kritik die Bellot's in dem
Exposé des motifs zum
Code de Genève p. 322 seq.: "Toutes les dispositions de ce Code respirent en quelque sorte la haine des compromis et decèlent le désir secret d'en anéantir l'usage." Das gemeine Recht ist lückenhaft und kontrovers; auch entspricht es in mannigfacher Beziehung nicht den Anforderungen der Gegenwart. Sehr eingreifende und umfassende Reformen haben daher der
Code de Genève art. 335-367 und die Proz. Ordnung v. Baden §§ 1061-1087 und Bayern Art. 1319-1344 eingeführt, sowie der württemb. Prozeßgesetzentw. v. 1847 Art. 175-208, die preuß. Entw. eines Handelsgesetzbuchs Art. 1046-1063 und einer Proz. Ordn. §§ 1361-1389, der belgische Entw. und der nordd. Entw. §§ 1155-1187 in Vorschlag gebracht. Bei allen diesen Reformen und Reformvorschlägen ist das Bestreben leitend gewesen, die Schranken zu beseitigen, welche der gedeihlichen Entfaltung des schiedsrichterlichen Instituts durch das bisher geltende Recht gezogen waren. Der Entwurf hat sich diesem Bestreben angeschlossen: er hat der Idee und dem Zweck des schiedsrichterlichen Instituts entsprechend das Verfahren so sehr vereinfacht und so praktisch gestaltet, daß dasselbe allen berechtigten Anforderungen zu entsprechen vermag und bei richtiger Wahl der Schiedsrichter günstige Ergebnisse liefern muß.
Soll nach der gegenwärtigen Entwickelung des Verkehrs das Institut der Schiedsrichter zur vollen Wirksamkeit gelangen, so müssen Schiedsverträge und Schiedssprüche in allen deutschen Rechtsgebieten auf gleichmäßige Anerkennung rechnen können. Eine gemeinsame Regelung des schiedsrichterlichen Verfahrens war daher geboten. Sie mußte in der Prozeßordnung erfolgen, weil nur im Zusammen-
490hange mit deren Bestimmungen die Voraussetzungen normirt weden können, unter denen zur Durchführung des schiedsrichterlichen Verfahrens Rechtshülfe und den Schiedssprüchen die Vollstreckbarkeit zu gewähren ist.
Bei Prüfung dieser Voraussetzungen kann die Frage nach der Zulässigkeit des schiedsrichterlichen Verfahrens selbst und nach der Anfechtbarkeit der Schiedssprüche nicht umgangen werden. Der Entwurf durfte sich deshalb nicht auf den Erlaß rein prozessualer Vorschriften beschränken: er mußte auch die Vorschriften über die Gültigkeit eines Schiedsvertrags und die Erfordernisse der Klage auf Aufhebung eines Schiedsspruchs in seinen Bereich ziehen.
Der Entwurf regelt in den §§ 792-802 dasjenige schiedsrichterliche Verfahren, welches durch die Vereinbarung herbeigeführt wird, daß die Entscheidung einer Rechtsstreitigkeit durch einen oder mehrere Schiedsrichter erfolgen solle. Der § 813 schreibt im Anschluß an die bayer. Proz. Ordn. Art. 1344 die analoge Anwendung dieser Bestimmungen auf Schiedsgerichte vor, welche in gesetzlich statthafter Weise durch letztwillige oder andere nicht auf Vereinbarung beruhende Verfügungen angeordnet werden.
Verschieden von den Schiedsrichtern -
arbitri - sind die Schätzungsmänner -
arbitratores - (vgl. für das gemeine Recht Entsch. des Reichsoberhandelsgerichts IV. S. 428 ff. und für das preuß. Recht ebendaselbst III. S. 75, 76). Die Vorschriften des materiellen Rechts rücksichtlich der letzteren werden durch den Entwurf nicht berührt.