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Guggenheim, Paul, Lehrbuch des Völkerrechts, Basel 1948

Title
Guggenheim, Paul, Lehrbuch des Völkerrechts, Basel 1948
Table of Contents
Content
45

III. Kapitel: Die Erzeugungsarten des Völkerrechts.

[...]

139

F. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze

[...]

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2. Die Völkerrechtspraxis.

a) Ausdrücklicher Verweis auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze.

Auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze wurde ausdrücklich nur in drei neueren Schiedsurteilen verwiesen288. In der Rechtsprechung des St.I.G. hat allein Richter Anzilotti in besonderen Meinungsäußerungen von allgemeinen Rechtsgrundsätzen gesprochen289.

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b) Bestimmte allgemeine Rechtsgrundsätze.

aa) Der Rechtsmißbrauch.

Die allgemeinen Rechtsgrundsätze werden in der völkerrechtlichen Gerichts- und Schiedsgerichtspraxis auch angewandt, ohne daß ausdrücklich auf sie verwiesen würde. Zunächst durch Anerkennung des Rechtssatzes der den Rechtssubjekten verbietet, sich bei der Ausübung ihrer Rechte eines Rechtsmißbrauchs (abus de droit) schuldig zu machen290. Diese Annahme des Bestehens einer derartigen Generalklausel ermöglicht es dem internationalen Richter und Schiedsrichter, die für das Völkerrecht charakteristische und wiederholt erwähnte Ermessensfreiheit der Staaten einzuschränken. Es ist aber bezeichnend, daß die internationalen Instanzen bisher hinsichtlich der Bejahung eines derartigen Rechtsmißbrauches sehr vorsichtig waren. So hat zwar auch der St.I.G. - z. B. auch in den Entscheidungen, welche die Zonenfrage betreffen - die Ausübung von Souveränitätsrechten nur unter dem Vorbehalt nicht-mißbräuchlicher Anwendung für zulässig erklärt291. Bei keinem der ihm vorgelegten Tatbestände hat er aber einen solchen Rechtsmißbrauch bejaht292.

bb) Delikt und ungerechtfertigte Bereicherung.

Eine völkerrechtliche Verpflichtung aus unerlaubten Handlungen und aus ungerechtfertigter Bereicherung wird von internationalen Schiedsgerichten oft unter Heranziehung der in «foro domestico» geltenden allgemeinen Rechtsgrundsätze angenommen.

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So hat Prof. Max Huber in dem Streitfall der britischen Beschwerden gegen Spanien für die in Spanisch-Marokko den englischen Staatsangehörigen zugefügten Schäden erklärt, deliktisches Verhalten könne auch in einseitigen Rechtshandlungen liegen293.

Die Verpflichtung zur Bezahlung von Verzugszinsen wurde in einem Urteil des Ständigen Schiedshof es vom 11. November 1912 bezüglich der russisch-türkischen Kriegsschuld bejaht294 und der Anspruch auf Rückerstattung der ungerechtfertigten Bereicherung in einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes des Völkerbundes vom 7. März 1934 anerkannt295.

cc) Die Einrede der Verjährung.

Zu den vom Völkerrecht anerkannten Rechtsgrundsätzen wird oft die Einrede der Verjährung gerechnet. Angesichts der verschiedenartigen Ausgestaltung des Landesrechtes ist es jedoch nicht gelungene die notwendige Befristung des Anspruches als Voraussetzung für die Geltendmachung der Einrede der Verjährung klarzustellen296.

dd) Der indirekte Schaden.

Als allgemeiner Rechtsgrundsatz wird endlich nicht nur die Verpflichtung zur Wiedergutmachung des effektiven Verlustes (damnum emergens), sondern auch des entgangenen Gewinnes (lucrum cessans) angesehen297.

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c) Allgemeine Rechtsgrundsätze, unabhängig von der Uebernahme aus dem Landesrecht.

Unabhängig von den aus dem Landesrecht übernommenen allgemeinen Rechtsgrundsätzen werden auch solche des Völkerrechts selbst genannt. So ist z.B. die Rede. von den «principes du droit des gens», den «principes du droit international», den, «principes élémentaires du droit international», den «règles générales du droit des gens»298. Weist diese Berufung auf völkerrechtliche Rechtsprinzipien auf eine weitere Rechtsquelle des Völkerrechts hin? Dies ist trotz der mißverständlichen Formulierung nicht der Fall. Die Berufung hat einreal den Sinn, daß die Geltung von Völkergewohnheitsrechtssätzen durch den Willen der einzelnen Staaten nicht beschränkt werden kann299. Sie kann aber auch den Zweck verfolgen, den Inhalt des Gewohnheitsrechts zu präzisieren. So haben die Professoren Max Huber, M. Bourquin und Pedroso in einem dem Völkerbundsrat in einer Minderheitenrechtssache erstatteten Gutachten festgestellt, der Völkergewohnheitsrechtssatz, der die Erschöpfung des landesrechtlichen Instanzenzuges vorsieht, bevor eine Streitfrage einem internationalen Organ zur Beurteilung vorgelegt werden kann, gelte nur, wenn es sich um eine Frage der völkerrechtlichen Haftpflicht der Staatsorgane handle300.

288Entscheidung der Gemischten deutsch-amerikanischen Beschwerdekommission vom 1. November 1923, J. C. Wittenberg, Commission mixte de réclamations germano-américaine I, 1926, 12; Entscheidung des speziellen deutsch-portugiesischen Schiedsgerichtes vom 31. Juli 1928 in der Angelegenheit Maziura und Naulilaa (Schiedsrichter: Nationalrat de Meuron und die Bundesrichter R. Fazy und G. Guex) Rec. TAM, VIII, 408 ff.; Spezielles deutsch-rumänisches Schiedsgericht in der Angelegenheit Goldenberg vom 27. September 1928 (Schiedsrichter: Bundesrichter R. Fazy) Z.a.ö.R. u. VR, 1929, 87.
289St.I.G. Serie A, Nr. 13, 27 (Anerkennung das Prinzips der abgeurteilten Sache), Serie A/B, Nr. 70, 50 (Anerkennung des Prinzips in adimplenti non est adimplendum). Vgl. auch Richter Hudson in St.I.G., Serie A/B, Nr. 70, 77, wo mit dem Hinweis auf die «Billigkeit» wohl ein Hinweis auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze gemeint ist.
290Vgl. N. Politis, Le problème des limitations de la souveraineté et la théorie de l'abus des droits, Rec., 1925, I, 5 ff. Scerni, L'abuso di diritto nei rapporti internazionali, 1930. H. Lauterpacht, The function of law in the international community, a.a.O., 296 f. Schlochauer, Die Theorie des abus de droit im Völkerrecht, Z.V.R. 1933, 373 ff. S. Trifu, La notion de Tabus du droit dans le droit international, Diss. Paris, 1940.
291Vgl. z. B., St.I.G., Série A, Nr. 7, 30, Série A, Nr.24, 12, Série A/B, Nr. 46, 167. In der bundesgerichtlichen Praxis ist zweimal anläßlich der Regelung internationaler Wasserstreitigkeiten die Rede vom Verbot der mißbräuchlichen Rechtsanwendung BGE, 4, 46 f., 26, I, 450 ff. Vgl. dazu D. Schindler, A.J., 1921, 170 ff. Gegen die mißbräuchliche Fremdenausweisung siehe die von H. Lauterpacht a.a.0., 289 aufgeführten Urteile.
292Vgl. auch den Juristenbericht in der Aalandfrage, S.d.N., J.O., Sup. spec., 1920, Nº 3, 5.
293Rapport a.a.O., 111. Der Berichterstatter erklärt ausdrücklich «qu'il est un principe généralement admis celui suivant lequel des obligations quasi contractuelles peuvent naître d'actes unilatéreux».
294Vgl. Urteil 95. Das Haager Schiedsgericht folgte früheren Präzedenzfällen. Siehe über sie Ch. Rousseau, Principes, 904.
295Schumann contra Société des Nations, A.D., 1933-34, 462.
296Keine völkerrechtliche Gerichts- oder Schiedsgerichtsentscheidung spricht sich positiv aus. Hingegen hat das Institut des droit international die «prescription libératoire» de lege ferenda anerkannt. Vgl. Annuaire, 1925, 558 ff., 466 ff. Den nicht gelungenen Versuch aus der Staaten- und Schiedsgerichtspraxis die Geltung der Verjährungseinrede nachzuweisen macht B. E. King, Prescriptions of Claims in international law, B.Y.B., 1934, 82 ff.
297So z.B. der von den schweiz. Schiedsrichtern Blaesi, Heusler und Soldan entschiedene Streit in der Angelegenheit der Delegoa-Eisenbahn zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien und Portugal vom 29. März 1900, Martens, N.R.G., 2. Serie, 30, 329 ff.
298Vgl. oben S. 142 Anm. 286. Siehe auch Prof. Max Huber in seinem a.a.O. zitierten Bericht über die britischen Beschwerden gegen Spanien, 51.
299So zutreffend St.I.G. Serie A, Nr. 10, 16: .:"La Cour estime que le sens des mots, ,principes du droit international' ne peut, selon leur usage général, signifier autre chose que le droit international tel qu'il est en vigueur entre toutes les nations faisant partie de la communauté internationale."
300S.d.N. J.O., 1933, 813.

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