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Lange, Hermann, Schadensersatz und Privatstrafe in der Mittelalterlichen Rechtstheorie, Münster, Cologne 1955

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Lange, Hermann, Schadensersatz und Privatstrafe in der Mittelalterlichen Rechtstheorie, Münster, Cologne 1955
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Schadensersatz und Privatstrafe in der mittelalterlichen Rechtstheorie

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I. Das Interesse

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§ 8. ZINSEN UND INTERESSE

I. Der Zinsanspruch ist Gegenstand der Interesselehre, soweit er Schadensersatzleistungen abstrakt normiert. Hauptanwendungsfall ist der Verzugsschaden. Die mit ihm verbundenen Fragen, mit denen sich der mittelalterliche Jurist auseinanderzusetzen hatte, beziehen

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sich auf das Anwendungsgebiet und die Höhe des Anspruchs sowie auf sein Verhältnis zum individuellen Schaden.

Ein Anspruch auf Verzugszinsen ist für alle bonae fidei iudicia überliefert1. Er fehlt bei allen strengen Klagen mit der Ausnahme der Legate und Fideikommisse, auf die auf Grund einiger allgemein für nachklassisch erachteter Stellen2 die für Klagen guten Glaubens geltenden Grundsätze erstreckt worden sind.

Wegen der Höhe der Zinsen verweisen mehrere Stellen auf das ortsübliche Maß3, mehrere Normierungen beziehen sich auf Sondertatbestände4. Eine allgemeine Grenze bildete das über unsere Prinzipien noch hinausgehende Verbot des Anatozismus5 und das des Überschreitens des alterum tantum 6, das nach der Novellengesetzgebung auch für den Fall gelten sollte, wenn die bereits gezahlten Zinsen das duplum des Kapitals überschritten hatten7.

Ob und inwieweit der Zinsanspruch weitergehenden individuellen Schaden ausschließen soll, ist nach den Texten nicht leicht zu entscheiden. Stellen mit einer ausdrücklichen8 oder stillschweigenden9 Beschränkung auf den Zinsanspruch stehen solche gegenüber, die das Interesse auch bei Geldansprüchen gewähren10. In der modernen Interpretation ist von den einen die Beschränkung11, von den anderen der Wegfall der Beschränkung für nachklassisch erachtet worden12.

Eine von der a. pro socio handelnde Stelle, die für die dogmengeschichtliche Entwicklung großen Einfluß gewinnen sollte, spricht die Zinsen als Interesse an.

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D. 17, 2, 60 pr.:"Socium, qui in eo, quod ex societate lucri faceret, reddendo moram adhibuit, cum ea pecunia ipse usus sit, usuras quoque eum praestare debere Labeo ait, sed non quasi usuras, sed quod socii intersit moram eum non adhibuisse. . ."13.

II. Die Glossa ordinaria behält die unterschiedliche Behandlung des Zinsanspruches bei freien und bei den strengen Klagen bei14. Die für Legate und Fideikommisse statuierten Ausnahmen erklärt sie, wie vor ihr schon Azonis Summa, aus der die Lehre von den Folgen des Verzuges fast wörtlich in die Glossa ordinaria gelangt ist, mit den nach freien Klagen hin tendierenden Charakter dieser Institute15.

Die Glossierung der Stellen, die sich. mit der Höhe der Zinsen befassen, folgt im wesentlichen den Texten. Doch sind die, sämtlich im Authenticum enthaltenen, Novellen 121, 138 und 160 nicht glossiert und auch in den Glossen zu anderen einschlägigen Texten nicht beachtet, so daß das Verbot des alterum tantum insoweit etwas gelockert erscheint16.

Zum Verständnis des Verhältnisses von Zinsen und individuellem Interesse ist zunächst daran zu erinnern, daß das bloße Nichtleisten nach der Lehre der Glosse an sich schon nur zum Ersatze des Interesses intra rem führen sollte17, ferner daß die wichtigste der beschränkenden Bestimmungen18 als Ausschluß des lucrum cessans erklärt worden ist. Im übrigen schließt aber der Zinsanspruch nach der Lehre der Glosse ein weitergehendes Interesse grundsätzlich nicht aus. Die Glosse scheint dies vielmehr als eine ganz allgemeine, im Widerspruch zu den Texten sogar bei strengen Klagen eintretende Folge der mora anzusehen. An der Hauptstelle heißt es19: "Haec autem mora sic commissa habet quinque principales effectus. Primum quia facit rem, vel interesse tantum aestimari officio iudicis prosit erat tempore morae, vel coepit postea, perseverante tamen mora".

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Neue Zweifelsfragen ergaben sich aus der Auseinandersetzung mit dem kanonischen Zinsverbot, das nach dem Zeugnisse der Dissensiones dominorum20 schon bei den ältesten Glossatoren erwähnt und als ius novum anerkannt wird. Azonis Summa folgt dieser Lehre21, erörtert den Titel De usuris aber sonst vom Standpunkt der überlieferten Texte aus. Auch die Glossa ordinaria erwähnt das Zinsverbot22, ignoriert es aber sonst. Die Glossierung zeigt dabei deutlich, wie die im Texte angedeutete Auffassung, daß die Zinsen unter Umständen als Interesse anzusehen seien, geeignet war, die kanonistische Doktrin von vornherein ganz oder teilweise abzuwehren, am klarsten in der Gl. Petrum apostolum i. f. zu C. 1, 1, 123: " . . . sed quidam Decretistae dicunt, quod sunt prohibitae: sed distingue, aut petit quis ut lucrum, et non potest. aut quia absit sibi. quia passus est damnum. et tunc non ut usurae, sed ut interesse petuntur, ar . . . (D. 17, 2, 60 pr.) et ita observatur in curia Romana." Bei D. 17, 2, 60 pr. heißt es in der Glosse: " . . . et hac ratione (sc. interesse) iure canonico pessime quidam eas defendunt". - Der Einfluß dieser Vorstellungen auf die kanonistische Doktrin selbst ist, gerade auch was die uns interessierenden gesetzlichen Zinsen anlangt, aus der Glosse zum Corpus juris Canonici nachzuweisen. Diese zählt an einer Stelle24 Ausnahmen vom Zinsverbote auf, zu denen vor allem Verzugszinsen gehören. Dabei wird unter Hinweis auf die erwähnte Digestenstelle mehrfach versichert, daß es sich hierbei ja nicht eigentlich um Zinsen, sondern um Interesse handele.

III. Soweit der rein legistische Standpunkt in Frage steht, schließt sich Bartolus der Lehre der Glosse im allgemeinen an25. Unterschiede sind in folgenden Punkten erkennbar: Wie bereits ausgeführt, will er bei Geldschulden zwar auch das interesse extra rem, aber nur im

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Rahmen des damnum emergens anerkennen26. Der vielleicht klassische Ausschluß des Interesse durch den Zinsanspruch taucht indessen auch bei ihm nicht mehr auf. - Die Lehre vom alterum tantum ist aus nicht ersichtlichen Gründen zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken, da B. das Verbot der Überschreitung der Kapitalsumme nur auf die Zinsen eines Jahres bezieht27. Auch in der Praxis ist die Schranke des alterum tantum mitunter umgangen worden28.

Im übrigen folgt B., der auch sonst gern kanonisches Recht anwendet29, der kirchlichen Zinslehre. Er kommentiert zwar die überlieferten Texte, die das Zinsennehmen gestatten, verweist aber auf das Zinsverbot und stellt dieses als das heute geltende Recht hin30. Einer Darstellung der einzelnen Auswirkungen des Zinsverbotes bedarf es indessen nicht, da der uns interessierende Teil der Zinslehre von ihm nicht betroffen worden ist. B. nimmt die Verzugszinsen mit nachstehender Begründung von dem allgemeinen Verbote aus31: "Sed quid in usuris, quae non veniunt ex pacto, vel ex conventione, sed ex dispositione legis propter contumaciam vel moram, ut in usura, quae dicitur propter dotem tardius soluta, numquid salis usura est licita? Videtur quod sic, ut in . . . (Nov. 131 c. 12) ubi ideo usura est licita, quia venit ex dispositione legis, non ex pacto, seu ex facto hominis. Sed quidam theologus dicit quod salis usurae non Bunt licitae, quia illae non veniunt secundum cursum temporis. Sed quia ex mors, i. poena per legem statutae sunt, dico illas esse licitas . . .". Auch im einzelnen verfolgt B. diese Linie. So hat der mit der Zahlung der Kaufpreissumme säumige Käufer Zinsen zu zahlen32, ferner hat der Ehemann bei Säumnis mit der Einbringung der dos Anspruch auf Zinsvergütung33. Durch diese Stellungnahme hat B. sicherlich wesentlich mit dazu beigetragen, daß eine der am wenigsten tragbaren Auswirkungen des Zinsverbotes, die vor ihm nicht unbestritten gewesen

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ist34, keine Geltungskraft erlangt hat35. Die Erkenntnis, daß der Zinsanspruch in diesen Fällen Schadensersatzfunktion habe, tritt nicht nur in der sachlichen Unterscheidung, sondern auch in der von Anfang an gebrauchten und auch bei B. als Rechtfertigung angeführten Formel zutage, daß die Zinsen hier loco interesse gefordert würden. B. distinguiert: "Et ideo tenendum est usuras nullo modo exigi, ut usuras, sed ut interesse . . ."36. Die gleiche Wendung steht auch bei Durantis: "Ex sola mora veniunt usurae ut in . . . (C. 4, 32, I-3; D. 3, 5, 6, 11 u. D. h. t. 7) non tamen ut usurae, sed tamquam interesse . . . (D. 17, 2, 60) "37.

Sicher war diese Verbindungslinie von Zins- und Interesselehre, von der noch heute der Sprachgebrauch zeugt (intérêt), für die kanonistische Doktrin nicht ungefährlich. Mit den sich damit bietenden Umgehungsmöglichkeiten, die unter der formalen Herrschaft des Zinsverbotes weidlich ausgenutzt worden sind, dürfte es hauptsächlich in Verbindung zu bringen sein, wenn Durantis in der Einleitung zu seiner Interesselehre schreibt: "Et quoniam in causis ecclesiasticis saepe petitur interesse . . ."38.

1D. 22, 1, 32, 2 ; C. 4, 32, 13; C. 4, 34, 2. Weitere Nachweise bei Kaser , RE XVI, 1 252 ff. Art. Mora.
2Besonders D. 22, 1, 34; das gleiche in C. 2, 41, 3; Näheres bei Kaser a. a. O.
3D. 22, 1, 1 pr.; 3, 5, 38 ; 17, 1, 10, 3.
4S. Windscheid-Kipp § 260  mit weiteren Nachweisen.
5C. 4, 32, 28.
6C. 4, 32, 10; 27, 1; D. 12, 6, 26, 1.
7Nov. 121; 138; 160.
8D. 18, 6, 20.
9D. 22, 1., 32, 2.
10D. 13, 4, 2, 8; 12, 3, 3 ; textkritisch Pringsheim Studi Riccobono IV 332.
11Haymann , Studi Bonfante II 460 ff.; ihm folgt Kaser RE . a. a. O.
12Siber, SZ 45, 149; Pringsheim a.a.O., 329 ff.
13Sie ist ebenso wie auch die den Strafgedanken betonenden Stellen (D. 22, 1, 3, 4; 17, 3; 46, 3, 95, 1) der Interpolation verdächtig, s. Index.
14Z. B. in der Gl. Bonae fidei sunt zu I. 4, 6, 28.
15Gl. Difficilis est zu D. 22, 1, 32 pr., der Sitz der Lehre von der mora; Summa Azonis C. 2, 40 n. 4-5.
16Gl. Solutae zu C. 4, 32, 10.
17S. oben S. 21 f.
18D. 18. 6, 20, s. oben S. 35 f.
19Gl. Difficilis est zu D. 22, 1, 32 pr.; ebenso Azonis Summa zu C. 2, 40 n. 4; ferner Gl. Aestimatio zu D. 12, 3, 3, Gl. Legitimum zu D.13, 4, 2, 8.
20Diss. dom. Vet. coll. § 64 ; s. ed. Haenel 51 u. 211 h (Hugolinus).
21C. 4, 32 n. 20; die Verbindlichkeit wird stets aus der Nov. 83 i. f. hergeleitet, eine der wichtigsten Eingangspforten der kanonistischen Doktrin in die legistische Rechtstheorie, s. Genzmer SZ 61, 311.
22Gl. Non quasi usurus zu D. 17, 2, 60 pr. ; Gl. Petrum apostolum zu C. 1, 1, 1.
23Die Glosse fehlt in der Ausgabe Nnbg. 1475, s. oben S. 6.
24Gl. De feudo zu X V 19, 8.
25Bei D. 22, 1, 32 erwähnt B. die Lehre der Glosse von den fünf Folgen der mora ohne nähere Besprechung.
26S. oben S. 43 ; B. zu D. 12, 3, 3 ; 13, 4, 2, 8 und 46, 3, 99 n. 8.
27Bei C. 4, 32, n.10.
28Endemann a.a.O., I. 245.
29S. van de Kamp a. a. O. 225 ff.
30Ausführliche Erörterung bei C. 1, 1, n. 5 ff.; ferner n. 4 zu D. 12, 6, 2 pr. und bei Nov. 106 (= Auth. Colt. IX t. XI).
31Bei C. 1, 1 n. 8.
32C. 4, 32, 2 ; übereinstimmend die Glosse zu X V 19, 8.
33D. 24, 3, 42, 2 u. 3 unter Hinweis auf X V 19, 16.
34Vgl. die eben genannte Begründung bei C. 1, 1; auch Azo folgte nach einer Bemerkung Bs'. bei D. 24, 3, 42, 2 der strengeren Auffassung.
35Über spätere Literatur Endemann a.a.O. II 312 f.
36Bei C. 1, 1 n. 7.
37L. IV P. IV De usuris n. 4.
38L. II P. III § 2 S. 557; übereinstimmend noch Ulrich Tenglers Laienspiegel im Abschn. "Von interesse", fol. XII (zit. nach der Ausgabe Straßburg 1543) "Wie woll die interesse wenig vor weltlichen gerichten, sondern am meysten in geistlichen Sachen erfordert . . ."

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