von Alexander Beck
Die bona fides im Vertragsrecht, eine der unvergänglichen Großtaten Roms, ist von AUGUST SIMONIUS immer wieder in Lehre und Forschung als ein dem modernen Vertrauensprinzip entsprechendes Bauelement des römischen Obligationenrechts hervorgehoben worden. Es stand der römischen Jurisprudenz, die im Prinzipat sich um die Ausweitung und Präzisierung der aus der Republik übernommenen Grundlage verdient machte, in der Aktionenformel der bonae fidei iudicia1 stets vor Augen. Die bona fides war zunächst freilich nicht nur ein Maßstab, der die iudicia beherrschte, sondern sie hatte als kräftige sozialethische Idee bei der Einführung der neuen Verfahren außerhalb jeden Gesetzes durch die Magistratur zugleich ihren eigentlichen Geltungsgrund bilden können. Dies darf man seit den bahnbrechenden Untersuchungen von KUNKEL und KASER heute als gesichert annehmen2. Die bonae fidei iudicia (im Folgenden b.f.i.) wurden vermutlich erst zu Beginn des Prinzipats in das Zivilrecht rezipiert und ihre Geschichte, in der sich die dem Grundgedanken innewohnen 10 de Ordnungskraft innerhalb der klassischen Periode immer präziser und harmonischer ausbreitete, liegt in großen Zügen ablesbar vor uns. Gewiß bedeutet es ein Unterfangen, auf wenigen Seiten eine solche Entwicklung zusammen zu fassen, deren modernes Bild dank einer höchst intensiven Arbeit der internationalen Wissenschaft in vielen Einzeluntersuchungen sich herauskristallisierte. Die folgende kurze Darstellung bemüht sich daher nur, einige Leitmotive aus dem großen Stoff hervorzuheben. Man kann in der Tat leicht in unserem Gebiet gemeinsame oberste Grundsätze beobachten, die vornehmlich mit der prozessualen Struktur der klassischen b.f.i. zusammenhängen, insbesondere damit, daß in ihnen die zweckmäßige rechtliche Gestaltung frei von den starreren Bindungen und zuweilen der Künstlichkeit des Ius Quiritium stattfand. Es wäre jedoch der rechtshistorischen Sachlage nicht gemäß, diese lebendigen Grundsätze in eine Reihe feststehender Einzelnormen und abstrakter Folgen der b.f. aufzuspalten. Eine solche Dogmatisierung haben jedenfalls die Klassiker weitgehend vermieden und wo sogenannte Regeln der bona fides in den Quellen begegnen, sind sie meist nachklassische oder doch schulmäßige Glosseme, selbst wenn sie einen wahren Kern enthalten.
Ein einigermaßen richtiges Bild, von «Treu und Glauben» im römischen Obligationenrecht, im modernen Sinne verstanden, müßte freilich weit über das engere Gebiet der b.f.i. ausgreifen. In Einzelwirkungen kommen die Klassiker bei einer ganzen Zahl anderer Klagen zivilen und honorarischen Charakters bekanntlich oft zu aequitativen Endergebnissen. Die Möglichkeit, im Einzelfall analoge Rechtshilfe zu gewähren (actiones utiles), die Klage in iure zu verweigern, in integru restitutiones und praetorische Stipulationen anzuordnen, Einreden und Pradskriptionen im Klageformular einzufügen usw., machte den Rechtsschutz in den Händen des prozeßleitenden Magistrats außerordentlich elastisch. Aus der Wurzel der römischen Aequitas, der rechtsethischen und rechtspolitischen Rechtfertigung und Leitidee aller magistratischen und richterlichen Rechtsschöpfung3, breitete sich großartig das undogmatische und lebensnahe klassische Rechtssystem aus, das im Prinzipat strukturell nicht verändert, sondern nur um den allerdings bedeutenden Faktor der kaiser- 11 lichen, auf Einzelfragen beschränkten Rechtsschöpfung bereichert wurde. Die Aequitas verwirklichte sich in ihm, wie die eindringenden Untersuchungen von PRINGSHEIM gezeigt haben, nicht in amorpher Weise, sondern ausschließlich in den fein ausgefeilten Kunstgestaltungen der Aktionsformeln und durch die sonst möglichen Einzelbehelfe des Prozeßrechts auf jeweilen verschiedene, typische Art. Die konstante und zähe Tradition, die diese Entwicklung trug, konnte der einzelne Praetor vor Hadrian zwar erneuern, aber sie wurde von ihm und den ihn beratenden Iuristen nie leichtfertig beiseite geschoben.
Unter den actiones, die den b.f.i. am nächsten standen, ist in erster Linie zu nennen die (geschichtlich weiter zurückgreifende) actio rei uxoriae4, die im gaianischen Katalog ungenau zu ihnen mitgezählt wird. Die ebenfalls dort enthaltene actio fiduciae wurde schon erwähnt5; sie hatte vielleicht in der Formel einen negativen Hinweis auf die bona fides6. Daran schließen sich gewisse andere praetorische Klagen mit einer b.f.-Klausel an, die dadurch aber nicht zu b.f.i. wurden. Besonders fruchtbar hat die neuere Forschung die Struktur der «actiones in bonu et aequum conceptae»7 herausgearbeitet, bei denen, ähnlich wie in der actio rei uxoriae, dem iudex die Befugnis eingeräumt war, die Höhe des zu leistenden Feldbetrages nach den Umständen des Falles und der Personen zu modifizieren, ohne daß jedoch die Frage des Bestehens der Schuld- bezw. Bußpflicht dem freien officium wie bei den b.f.i. unterlag. Den aufschlußreichsten Typus solcher Klagen bildet die actio iniuriarum, bei der 12 bloß die Höhe der Buße nach richterlichem Ermessen festgesetzt wurde8. Nicht als b.f.i. eingerichtet war schließlich bei den Klassikern die (honorarische) actio pigneraticia in personam, die im justinianischen Katalog erscheint9, wie auch fast selbstverständlich die Teilungsklagen10. Die nicht seltenen Klagen mit der condemnatio auf quanti ea res est (erit)11 - wozu u.a. die Arbiträrklagen gehören - waren desgleichen nicht bonae fidei, obwohl auch bei ihnen der iudex im Rahmen des objektiven Wertes des Leistungsobjekts in wachsendem Maß sowohl die Beschädigung der zurückgegebenen Sache als auch deren Früchte berücksichtigte12. Erst die Kompilatoren haben ein bonae fidei-Prinzip in fast allen diesen Fällen gesehen und andere Grundsätze der b.f.i. angewandt.
Unter den strengen Klagen kam schon der «condictio certae rei» aus stipulatio certa durch die hier notwendige Abschätzung des Sachwertes ein beschränkter Ermessenscharakter zu. Den klassischen Lösungen lag die engere, auf den objektiven Sachwert zugeschnittene «quanti ea res»-Formel zugrunde13. Infolge einer mangelhaften ausdrücklichen Quellengrundlage schwieriger zu erfassen, ist die Regelung bei der actio ex stipulatu auf ein incertum (facere)14.
13Im gemeinen Recht und auch in der heutigen Lit. Begegnet daher gelegentlich die Formulierung, die actio ex stipulatu sei eine bonae fidei-Klage oder nähere sich einer solchen15. Denkt man schließlich an die besonderen der bona fides weitgehend entsprechendere Grundsätze in der Handhabung des Fideikommissrechts, an das arbitrium boni viri, an die actio doli, die bei den strengen Klagen überall mögliche exceptio doli16, den Kalumnieneid und das poenale iudicium calumniae17, die poenae temere litigantium überhaupt, die in der extra ord. Kognitio außerhalb der bonae fidei-iudicia zugelassene Kompensation, den Gedanken des Rechtsmißbrauchs im Personen- und Sachenrecht usw., so erscheint jedenfalls die sozialethische DoIusrepression, diese eine auffallende Kehrseite der bona fides, weitgehend auch außerhalb der b.f.i. in kraftvoller Geltung.
Nicht außer Acht zu lassen hat man des weiteren, daß eine Reihe von Normen, die auf den ersten Blick leicht der bona fides zugerechnet werden könnten, von den Veteres und Frühklassikern bereits im Bereich der stipulatio und des strengrechtlichen Legats weitergeführt worden sind. Zum Teil sind sie in den bonae fidei iudicia modifiziert und aufgelockert worden. Dazu gehören neben dem bereits erwähnten Satz von der Nichtigkeit des sittenwidrigen Rechtsgeschäfts die Lehre von der (anfänglichen) Unmöglichkeit der Leistung18, 14 die Auffassung des Irrtums in substantia und in persona als Fälle des Dissenses, die aus dem archaischen Rechtsdenken schon überkommene Auslegung der Willenserklärung nach typischen, durch den allgemeinen Wortlaut der Sprache gedeckten Bedeutungsinhalt (vgl. S. 8) - um nur einige Hauptpunkte zu nennen.
So finden sich im klassischen Recht eine eindrückliche Reihe grundlegender und für die spätere europäische Rechtsentwicklung höchst fruchtbarer Rechtsgedanken entwickelt, die der heutigen Idee von Treu und Glauben entsprechen, aber bei den Klassikern nicht als ausschließliche Schöpfungen der b.f.i. im engem Sinne anzusprechen sind. Diesen letzteren wenden wir uns im folgenden kurzen Überblick zu.
Ein Kardinalpunkt der b.f. bestand gewiß in der redlichen, getreuen Bindung an das meist formlos gegebene Wort19, bezw. an eine anderweitige Vereinbarung durch konkludente Handlung - sofern es sich um eines der durch Vertrag zustande kommenden b.f. Verhältnisse handelte20. Vertragstreue als solche 15 ist freilich in Rom ein selbstverständlicher Grundsatz aller Verträge, auch der stipulatio und des strengen Darlehens. Bei nichtvertraglichen b.f. Verhältnissen (tutela, neg. gestio, actio rei uxoriae), wo also kein contractus im späteren Sinne vorlag, verlangte die Fides die Beachtung objektiver, gewohnheitsrechtlicher Normen des richtigen Verhaltens und erweist sich ihr tragendes Element von vornherein als ein objektives. Der in unserm Zusammenhang mehrfach überlieferte Satz, daß es der b.f. entspreche «quod convenit fiat»20a bezieht sich offensichtlich entweder auf Nebenabmachungen (pacta) oder will in nachklassischer weise auf eine allgemeine Vertragslehre hinaus, von der sich die Klassiker zurückhielten.
Viel spezifischer für die b.f.i erscheint die Einbeziehung aller beim Vertragsschluß getroffenen ergänzenden Nebenabmachungen in das Iudicium. Spätere, pacta (ex intervallo)21 werden auch bei b.f.i. nur innerhalb des praetorischen Ediktsatzes "pacta servabo" als beschränkende geschützt und müssen in der klassischen zeit durch exceptio pacti conventi geltend gemacht werden22. Als einzigem pactum wurde re integra dem nachträglichen der völligen Vertragsaufhebung (sogenannten contrarius consensus), zivilrechtlich tilgende Wirkung zugesprochen23 - eine Lösung, die für das klassische Recht immerhin keineswegs völlig klar liegt. Aber alle pacta, erweiternde und mindernde, wirkten nicht materiell, sondern officio iudicis und fanden ihre Grenze in allgemeinen, von der Jurisprudenz geleiteten Grundsätzen24.
16Wie erfolgte die Auslegung von Willenserklärung in den bonae fidei iudicia? Es liegt klein Anlaß vor, anzunehmen, daß von den allgemeinen Auslegungsregeln, die bei der stipulatio und dem legatum galten, fundamental abgewichen wurde. Die Klassiker legte durchaus und grundsätzlich Willenserklärungen nach dem objektiven, allgemeinen und von Jedermann so aufzufassenden Wortlaut aus25. Erst im justinianischen Recht wird der subjektive Wille des Erklärenden das Prinzip der Auslegung, wenn auch die Klassiker in Zweifelsfällen schon beim Legat auf subjektive Gewohnheiten des Erblassers26, nicht aber auf einen speziellen Testierwillen Rücksicht genommen hatten. Während im Fideikomißrecht der subjektive Wille des Erblassers stärker berücksichtigt wurde27 als bei stipulatio und Legat, so hat in den b.f.i. der Geschäftszweck und die Interessenlage für die Auslegung des Vertrags eine wesentliche Rolle gespielt28. Beim Wissen von der subjektiven Bedeutung, die der Geschäftsgegner seiner objektiv, für Jedermann anders zu verstehenden Erklärung beimaß, muß ferner eine dolose Berufung auf diesen objektiven Wortsinn als unzulässig erschienen sein. Besonders führte der weitgehende Gebrauch von Formularen bei Kauf und Miete und deren Auslegung durch die Juristen andrerseits zur ausgesprochenen Betonung eines objektivierten Vertrauensprinzips. Daß dieses bei der Vollmacht kein Dogma war, zeigt eine vielbehandelte Scaevolastelle, wonach bei doloser Überschreitung des Mandats durch 17 den Bevollmächtigten selbst der Vertrauensschutz Dritter außer Betracht blieb. Die stellvertretungsweise erfolgte traditio war, hier nichtig29.
Wir besitzen hingegen für den Tatbestand einer anfänglichen, d.h. bei Vertragsschluß -angewandten Arglist aus der eigentlich klassischen Zeit wenig Material. War schon in der frühklassischen Periode der Vertrag gültig, wenn keine dolus-abesse-Stipulation30 getroffen wurde? Man hat dies wohl doch beim Kauf anzunehmen, - wenigstens im Hauptfall einer Täuschung über Sacheigenschaften. Ob dies auch bei andern b.f.i., z.B. der societas, galt, ist freilich mehr als zweifelhaft. Zur Zeit Labeos (D. 4, 3, 7, 3)31 war jedenfalls im Kauf für das spätere Vertragsverhalten nicht mehr eine dolus-afuturum-esse-Klausel üblich und man kann fragen, ob eine solche Stipulation in den b.f.i. je erforderlich war und nicht nur aus Klarheitsbedürfnis und Tradition angewandt wurde - vielleicht auch, um die Erfüllung des Vertrags durch Bürgen zu sichern32. Es wäre wohl unrömisch, anzunehmen, daß die fides nur formeller Geltungsgrund der neuen Prozeßverfahren ohne jeden materiellen Inhalt je gewesen ist. Natürlich stehen die Garantieverpflichtungen für Eviktion und Sachmängel beim Kauf auf einem anderen Blatt33.
Die gemeinsame materielle Struktur aller b.f. Verhältnisse wurde durch den Prozeß bedingt. Vorzüglich in unserem Gebiet bildeten Prozeß und Privat- 18 recht eine systematisch nicht völlig scheidbare Einheit34. Das Verfahren bezweckte freilich (wie in jedem Prozeß) die Liquidierung der bisherigen Parteibeziehungen durch den Urteilsspruch, jedoch auf eine besonders umfassende und eigentümliche Weise35. Der iudex war ferner kraft der b.f. verpflichtet, Leistungen der Parteien zu berücksichtigen, die noch bis zur Urteilsfällung während des Verfahrens erbracht wurden36 und leitete dergestalt je nach persönlicher Veranlagung immer ein mehr oder weniger intensives Vermittlungsverfahren. Im folgende werden die beiden Momente (Liquidationsnatur der Klage und Vermittlungsverfahren) zur besseren Klarheit auseinander gehalten.
Das erste Moment bedeute die Würdigung des Rechtsverhältnisses als Ganzes, in seinem Entstehen und in allen seinen Auswirkungen37, im Gesamtrahmen38 der Umstände und des Verhaltens der Parteien - eben nach den Grundsätzen der b.f. und Jurisprudenz, die durch Gewohnheitsrecht vorgezeichnet war. So ergibt sich ein ganz eigentlich revolutionärer Gegensatz - ähnlich wie er zwischen Legat und Fideikommiß entstand - zu der isolierten, auf einen streng umgrenzten Entstehungstatbestand mit von vornherein fest be- 19 stimmten Wirkungen zugeschnittenen Obligation der strengen Klagen. WIEACKER hat höchst eindrücklich die actio pro socio als notwendige Abrechnungsklage dargestellt39 - ein fruchtbarer Ansatz zur Erfassung der b.f. - Klagen als Liquidationsklagen überhaupt40. Aus den Rechten bezw. gegenseitigen Pflichten der Parteien wird in Gestalt eines sich ihm ergebenden Geldbetrages durch den iudex im Urteil die Abrechnung des Verhältnisses vollzogen. Freilich tritt dieser Zug bei den verschiedenen bonae fidei-Klagen in abgewandelter Form auf. Er wird insbesondere gelockert und verstärkt durch die Gewährung selbständiger Konträrklagen41 oder - wie beim .Mandat - durch eine entsprechende Formelfassung der Hauptklage selbst, die bei Geltendmachung durch Auftraggeber oder Beauftragten gleich lautete. Beim Kauf und bei der locatio conductio kommen für beide Parteien von früh an selbständige Klagen vor. Diese letzteren Iudizien nehmen durch ihre Bedeutung im Rechtsleben und durch ihre reiche und mannigfaltige, unter sich wieder verschiedene Einzelentwicklung eine besondere Stellung ein. Sie entfernen sich am meisten von dem grundsätzlichen Charakter eines Gesamt-Abrechnungsverfahrens, das bei der societas, der tutela, der negotiorum gestio und dem Mandat auch dem Wesen der Sache nach deutlich zugrunde liegt. Aber überall - vielleicht, wenn Wieacker beizupflichten wäre, mit Ausnahme der societas (omnium bonorum)? - war die vor- und nachherige Klagemöglichkeit für Einzelforderungen kraft praetorischer Behelfe gewahrt42.
20Eng mit dem Abrechnenscharakter der b.f.i. verbunden war ein eigenartiges Güte- und Vermittlungsverfahren auf Grund des Satzes iudicia sunt absolutoria43 und der Tatsache, daß viele Pflichten des Beklagten erst durch den Geschworenen genau zu konkretisieren waren, daß er die Verrechnung etwa ablehnen konnte usf. Dem Kläger mußte darin Gelegenheit gegeben sein, die Leistung bis zum Urteil nachzuholen44. Anders als bei den iudicia arbitraria war allerdings ein solches Verfahren nicht in der Formel vorgezeichnet; es dem klassischen Recht abzusprechen, würde sowohl dem praktischen Sinn der Römer widerstreiten, als auch der materiellen Naturalleistungspflicht, die trotz der schließlichen Geldverteilung immer im Bewußtsein war45. Selbst nach der Einschaltung einer exeptio in strengen Klagen hat man im Geltungsbereich der iudicia absolutaria eine Gelegenheit in diesem Sinne anzunehmen46. Vornehmlich bei infamierenden Klagen wird der Schuldner in der Regel spätestens noch während der Prozeßzeit erfüllt haben und gerade hier wäre es, angesichts eines vom iudex nach freiem Ermessen zu fällenden Urteilsbetrags, eine Härte gewesen, nicht vorher die Leistung in bestimmter Weise nahe zu legen.
Der antike Zivilprozeß war keineswegs ein mechanischer Apparat der Rechtsverwirklichung und auferlegte, im Gegensatz zum modernen, den Parteien weitgehende Sorgfaltspflichten und Risiken47, die im Verfahren in iure, aber teilweise auch noch vor dem Geschworenen erfüllt und bereinigt werden konnten. Diesen Zusammenhang meint der nachklassische bezw. aus dem Elementarunterricht stammende, für den Formularprozeß ungenaue Satz von 21 der Inhaerenz der exceptio doli (und metus)48 im bonae fidei judicium49. Er kann nur besagen, daß dolus und fraus in den b.f. iud. nicht geschützt wurden, gleichermaßen in Bezug auf die Handlungen des Klägers wie des Beklagten. Die Fideswidrigkeit des Klägers jedoch wurde völlig verschieden berücksichtigt als sonst dies ope exceptionis im Formularprozeß. Sie konnte im b.f.i. zu einer Herabsetzung des Forderungsbetrags führen, während sonst nach der herrschenden und begründeten Auffassung der ordo iudiciorum urteilsmindernde Einreden nicht kannte50. Im klassischen Prozeß war die exceptio eine negative Voraussetzung der Verurteilung; die Klage war völlig abzuweisen, wenn der Einredetatbestand erfüllt war. Dies galt insbesondere auch bei den dilatorischen Einreden, wo es nicht eine Abweisung zur Zeit gab und der Kläger eine pluspetitio tempore beging51. Dolus aber war vom iudex in den b.f. iudicia grundsätzlich selbst da wohl zu berücksichtigen, wo die bestreitende Gegenpartei nicht ausdrücklich ihn rügte - während die exceptio begriffswesentlich vom Beklagten immer in iure verlangt werden mußte. In gewissen Fällen des dolus (praesens) hatte allerdings der Kläger auch bei strengen Klagen nach Einschaltung einer exceptio doli Gelegenheit, sein Verhalten noch im Verfahren apud iudicem zu korrigieren (so etwa bezüglich des Impensenersatzes in der rei vin- 22 dicatio52.) Solche und ähnliche Rechtslagen mag als echten Kern die Regel von der Inhärenz in erster Linie im Auge haben. Umgekehrt mußte bei arglistiger, für das Zustandekommen des Vertrages erheblicher Täuschung die Fidesregel zum selben Ergebnis führen wie eine technische exceptio doli, nämlich zur Klageabweisung seit der allgemeinen Berücksichtigung des dolus praeteritus in den b.f.i. (oben S. 9).
Die Repression eines b.f.-widrigen Verhaltens in der Anspruchsausübung verwirklicht in engerem Sinne richterliche Kompensationsbefugnis für Forderungen ex eadem causa53. Sie kann in der Tat als typische prozessuale Begleiterscheinung der bonae fidei iudicia bezeichnet werden54. Die vom Beklagten verlangte Verrechnung hat der iudex nicht zwingend vorzunehmen; nach den Umständen des Falles, z.B. wegen mangelnder Liquidität der Gegenforderung, aber auch wenn die Verrechnung sonst gegen die bona fides verstoßen würde, kann er sie nach Ermessen verweigern55.
Der iudex konnte im bona fidei iudicium ferner durch Auferlegung von Kautionen (stipulierten und sichergestellten Garantieversprechen an den Gegner) zu erwartende künftige Ereignisse, Vorteile und Schadensfälle berücksich- 23 tigen56. Diese Möglichkeit bildete freilich nicht eine ausschließliche Eigenart der bon. fidei-Klagen57. Das klassische Verfahren wird ersichtlich aus Gaius III 125; es ergingen Einladungen an die Parteien, vor dem Urteil die Kautionen abzuschließen58. Ein ähnlicher Behelf zur Herstellung des ökonomischen Ausgleiches unter den Parteien vor dem Urteil war die Auferlegung von Aktionenzessionen59. Endlich geben die Klassiker - wenigstens bei einigen b.f.-Klagen, aber nicht nur bei ihnen - dem iudex die Befugnis zur Anordnung eines ius iurandum in litem über den Wert des Streitobjektes bei dolus oder contumacia des Gegners60.
Die Bedeutung des officium iudicis in den bonae fidei-Klagen legt schließlich die Frage nach besonderen Beweisregeln nahe. Ihr Bestehen ist nach dem Quellenstand unwahrscheinlich. Die Abwesenheit starrer Regeln über Beweis und Beweislast und vornehmlich auch festgelegter Vermutungen machte eine Eigenart des Verfahrens im ganzen Bereich des ordo iudiciorum aus, wie neuerdings, im Anschluß an Donatuti, ERNST LEVY und KASER darlegten61. Beweis und Beweislast gehörten nach der Auffassung der Klassiker mehr der Sphäre des Tatsächlichen als des Rechtlichen an. Dies galt für die Einzelheiten des vom Geschworenen selbst zu organisierenden Beweiserhebungs- und Urteilsverfahrens, soweit nicht,wie bezüglich des iussus de restituendo der Arbiträrklagen, bestimmte Abschnitte schon in der Formel vorgezeichnet waren. Trotzdem bestanden unstreitig Leitprinzipien (etwa das der kontradiktorischen Verhandlung) und gewisse konventionelle Regeln der Erfahrung 24 und Zweckmäßigkeit, die z T. durch die Rhetorik mitbestimmt waren. Es gibt in diesem Bereich keine Anhaltspunkte für Besonderheiten der b.f.i.; insbesondere konnte die Regel von der Inhaerenz der exc. doli nicht zu einer eigentlichen Beweislast des Beklagten für den dolus des Klägers führen62.
Im justinianischen Recht sind die prozessualen Fides-Regeln der klassischen Epoche längst zu vorwiegend materiellen Rechtssätzen geworden. Nun steht der Begriff des contractus bonae fidei, im Gegensatz zum iudicium bonae fidei, im Vordergrund63. Der Unterschied zwischen der in bonum et aequum konzipierten und der bonae fidei-Klage ist dahin gefallen64. Aequitas65 wird der bona fides gleichgesetzt und bilde mit humanitas, benignitas usw. eines der hervorragenden ethisch-juristischen Prinzipien der byzantinischen Ordnung, welche die klassische, vom prozessualen her entwickelte Grundlage doch nicht völlig zu verlassen fähig ist. Ihr sind stricti iuris negotia freilich keineswegs unbekannt. Durch Erhebung einer exceptio doli wird jedes iudicium jedoch immer zu einem solchen bonae fidei66.
Die Wesenszüge der byzantinischen, modernem Empfinden nahestehenden Rechtsordnung erhellen sich vollends, wenn man die Grundsätze der Real- 25 verurteilung, der materiellen Bedeutung der Einrede67 und vornehmlich die bürokratisch organisierte, unselbständige Beamtenstellung des Richters im spätantiken Prozeß mit beachtet. Dem Kognitionsrichter Iustinians liegt grundsätzlich die Pflicht ob, das Gesetz, d.h. materielle Rechtsnormen anzuwenden, wozu auch die Generalklausel der bona fides und exceptio doli gehören. Gegenüber dem klassischen iudex erscheint das Ermessen des justinianischen Richters als eingeschränkt, wie es sich etwa im Gebiet der Kompensation, jener von uns erwähnten Einrichtung der klassischen bonae fidei iudicia, zeigt68.
Die Aequitas, nicht die bona fides, ist es gewesen, der im Mittelalter bis in die Neuzeit die führende Rolle in der Rechtsentwicklung zukam. Bereits die Glosse unterscheidet bewußt und grundsätzlich die beiden Schichten eines strictum ius und der aequitas. Diese letztere wird als eigentlich schöpferischer Teil der justinianischen Rechtsordnung, der im Zweifel den Vorrang vor dem strictum ius hat, schon von den älteren bologneser Lehrern angesehen69. Hier setzte dann die fortbildende, in ihren kontinentalen Auswirkungen heute noch nicht voll übersehbare aequitas tanonica ein70.
Die Glossatoren waren es bekanntlich auch, welche die Wendung zur materiellrechtlichen Auffassung des Corpus Iuris erst wirklich vollendet haben. Ihnen erscheint das materielle Recht als primäre Größe, als 26 causa oder mater actionis71 und wird von ihnen als System ausgebaut72.
Die moderne Betonung und Bedeutung von Treu und Glauben im französischen73, deutschen und schweizerischen Recht aber knüpft einesteils an die gemeinrechtliche Gerichtspraxis (exceptio doli generalis) des 18. und 19. Jahrhunderts an, andererseits an die Wissenschaft der letzten Periode des vergangenen Jahrhunderts. Erst in dieser Zeit, derjenigen vor der Entstehung der deutschen und schweizerischen Kodifikation, tritt der Begriff als ein zentraler hervor.74. Unter den Pandektisten hat vor allem REGELSBERGER das moderne Prinzip aufs eindrücklichste herausgehoben75. Und STAMMLER sah in Treu und Glauben das Werkzeug der richterlichen Verwirklichung des sozialen Ideals und des richtigen Rechts76. EUGEN HUBER stand bekanntlich ja gerade ihm besonders nah77. Der wissenschaftliche Kampf in der Epoche vor den beiden Kodifikationen ging jedoch nicht mehr um die bona fides des römischen Ver- 27 tragsrechtes - Diese war längst ein gesichertes europäisches Rechtsgut geworden. Er ging um die Bedeutung der exceptio doli generalis zur Erfassung der Schikane, um den Rechtsmißbrauch bei der Geltendmachung subjektiver Rechte überhaupt.
1Dazu gehörten im klassischen Recht nach Gai. 4,62 die actiones empti venditi, locati conducti, negotiorum gestorum, mandati, depositi, pro socio, tutelae. Umstritten ist, ob das Kommodat je durch eine actio in ius concepta erfaßt wurde; orientierend SCHULZ, Classical Law, 36 ff.; BERGER, Encyclopedy 520 mit Lit. Die von Gaius bereits mitangeführte actio fiduciae war keine zivile Klage und hatte eine von den b.f.i. verschiedene Formel, ebenso die den b.f.i. in manchen Einzelbeziehungen verwandte, zivile actio rei uxoriae (vgl. unten S. 3, Anm. 4); der Liste angefügt werden bei Justinian außer dem Kommodat die persönliche Pfandklage, die herid. petitio und die Teilungsklagen (Inst. 4, 6; 28, 29). Vgl. unten S. 16 f.
2Vgl. jetzt auch zustimmend MAGDELAIN, Actions Civiles, 1953, 42 f.
3So hat SIMONIUS, Festschr. Lewald 162 das dem allgemeinen Bildungsgrad der Zeit angehörende Aequitätsprinzip als entscheidend für die klassische Ausgestaltung der Bereicherungskondiktio dargetan; vgl. dazu KADEN SZ 1954, 589. Eine ähnliche, in der Formulierung freilich nicht unverdächtige, aber sachlich doch zutreffende Begründung für die Auferlegung von Offizialzinsen bei Verwendung fremden Geldes im b.f.i. bringt Ulp. D 17, 1, 10, 3: quia bonae fidei hoc congruit ne de alieno lucrum sentiat.
4Vgl. außer Biondi Bonae f. Iudicia, 1920. GROSSO, Ricerche intorno all'elenco classico dei bonae fidei iudicia (Riv. it. Sc. giur. 1928, 39 ff.); LAURIA, La dote romana, war mir nicht zugänglich; neuerdings überzeugend KASER, Der Rechtsgedanke der actio rei uxoriae (Revue Internation. des Droits de l'Antiquité II, 1949, 511 ff.). - Die auf «quod aequius melius erit» abgestellte Formel räumte dem Richter nur hinsichtlich der condemnatio des geschuldeten Betrages, nicht der Schuldpflicht selbst ein, Umfang und Modalitäten nach einem equitativen Kriterium festzusetzen. Aber auch die Handhabung der actio entsprach nicht den b.f.i. (KASER, 512 ff.); im Gegensatz dazu umfaßte die b.f. dort das ganze Verhältnis (so auch GROSSO, l.c. 45 ff., GENZMER, SZ 1924, 116 und Andere).
5Vgl. oben S. 1, Anm. 1. Zu der nach Cicero (De off. 3, 15, 66; 3, 17, 69, 70; Top. 17, 65, 66) konstruierten Formel mit dem Kondemnationsbestandteil «negotium ita factum non esse uti inter bonos bene agier oportet et sine fraudatione» (bona fide actum non esse?); vgl. LENEL, Ed. § 107; ERBE, Fiducia 91 f.; LONGO, Fiducia 30 ff.; KRELLER, SZ 1942, 190 f.; KASER, FS Schulz II 29). Sie war nach heute allgemeiner Ansicht in factum konzipiert.
6Umstritten ist bei der actio fiduciae die im Hinblick auf die Infamiefolge meist angenommene bloße dolus-Haftung bis zu des Severen - vgl. einerseits MITTEIS, RPrR 325 ff.; ROTONDI, Scritti 2, 137-158; ARANGIO-RUIZ, Resp. contr., 1933, 50 ff., andrerseits ERBE, 52 f. und etwa PFLÜGER, SZ 1947, 140, der für Pfandfiduzia selbst custodia-Haftung nicht ausschließen möchte. Die Vererblichkeit wird jetzt bejaht durch BURDESE, Studi Solazzi, 602).
7Nämlich die actio iniuriarum, funeraria, de effusis vel deiectis bei der Verletzung eines Freien, de feris; das iudicium de moribus; die Klage gegen den iudex qui litem suam fecit - alles, wie THOMAS, NRH 25, 541 ff. zeigte, Poenalklagen (mit Ausnahme der actio funeraria); cf. GROSSO, RISG 1928, 42 f.; PRINGSHEIM, SZ 52, 1O1 ff.; BERETTA. St. Solazzi 264 ff.
8Daß es sich immer um eine poena, die auf die Schwere der deliktischen Tat abstellte und nicht um Zuerkennung von Schadensersatz (wenn auch die Buße diesen meist miterfaßte) handelte, zeigte BERETTA, a.a.O.
9KASER, Restituere als Prozeßgegenstand 1932, 54. Zur Frage der actio praescriptis verbis vgl. etwa ARANGIO-RUIZ, Ist. 10. Aufl., 317 ff. mit Lit.
10KASER, Restituere, 56 mit Lit.
11Dazu gehörten die in factum konzipierten Formeln der actio pigneraticia (KASER, Quanti ea res est, 78 ff.), depositi (KASER lc. 69 f.), commodati (KASER, Rest. 54 N. 3, Quanti es res est 75 ff.) - alles reddere-Klagen mit dem Hinweis «eamque rem redditam non esse», KASER, lc. 65 ff., 82. Bei ihnen wurde der Kondemnationsbetrag nach dem Wert der zurückzugebenden Sache festgesetzt, ohne daß eine Interessenberechnung stattfand. Die Formel erlaubte dem Richter die Berücksichtigung einer bereits erhobenen konkurrierenden Bußklage (legis Aquiliae oder furti), ohne eine exceptio doli in der Formel, cf. KASER, lc. 82; dieselbe Erscheinung bei den b.f.i. ist also kein ausschließliches Sonderrecht.
12KASER, Quanti ea res est, 1935. Für unsere auf das Obligationenrecht gerichtete Betrachtung fallen die dinglichen Arbiträrklagen, die regelmäßig der Vorbereitung des Eigentumsprozesses dienende actio ad exhibendum, die Serviana, die Besitzinterdikte und Gemeinschaftsverhältnisse aus. Dagegen interessieren im Zusammenhang der bonae fidei iudicia (cf. unten) die Kautionen (KASER, 32 ff.); unter den reddere-Klagen die actio in factum depositi (KASER, 69 f.), wo Gegenstand der litis aestimatio nur der Sachwert des hinterlegten Objekts ist, allerdings unter Berücksichtigung einer eventuellen Beschädigung; die actio commodati in factum (KASER, 75 f. ferner VOCI, Risarcimento del danno e processo formulare 1938, 95 f.; PROVERA, Ius iur. in litem, 45); bei der actio pigneraticia in personam gab es nur eine formula in factum (KASER, lc. 78 mit Lit.); daher sind wohl die Stellen, die von Interessenersatz sprechen (D. 13, 7, 9, 5; 43; C. 8, 29, I pr.; 7), nachklassisch bezw. der extraord.c. angehörig.
13Vgl. KASER, Quanti ea res 88; der in diesen Zusammenhang auch die klassische Einbeziehung von Zuwachs und Früchten in die Bereicherungskondiktion stellt.
14Zu ihr KASER lc. 66 ff., insbes. 110 ff.: maßgebend war die objektive, allgemeine Geldwertberechnung, nicht das subjektive u.U. weiterreichende Interesse des Klägers. Dagegen freilich neuerdings VOCI: Haftung auf id quod interest (so Dottrina rom. d. Contratto, 1946, 156 mit Bezugnahme hauptsächlich auf D. 45, 1, 114); KASER verkennt jedoch nicht, daß die Klassiker bei anderen Klagen auf «quidquid... oportet» und «quanti ea res est» zur Interessenberechnung gelangt sind (cf. lc. 87 und zusammenfassend 197, vgl. 199 ff.).
15Etwa MONIER, Manuel II 103; KRELLER, Grundlehren, 289. In Bezug auf Leistungszeit wurde schon bei der stipulatio auf ein facere von den veteres die angemessene Zeit als impliziert angesehen. Auch die Nichtigkeit sittenwidriger Rechtsgeschäfte als allgemeiner Grundsatz ist ja bei der stipulatio entwickelt worden, ohne Zusammenhang mit der bona fides im engeren Sinn. Dazu etwa MONIER, Manuel II, § 68 N. 2; SIBER, St. Bonfante 4, 105 ff.; BIONDI, Contratto e stipulatio, 1953, 330f.
16Niemals machte eine clausula doli, die einer Stipulation zugefügt wurde, die Verpflichtung zu einer solchen ex fide bona; neuerdings u.A. MAGDELAIN, Actions civiles 1953, 53.
17Cf. Gai. 4, 172d, 176. Der Kalumnieneid, der vom Kläger verlangt werden konnte, bildete mit gewissen Ausnahmen im klassischen Recht ein allgemeines Institut ebenso wie das iudicium calumniae (de Zulueta, Gaius II, 299; WENGER, Inst. d. röm. Zivilproz. Rechts, 1925, 98). Zu seinem Gebrauch im justinian. Recht als allgemeines Abwehrmittel gegen Schikane; CHARVET, Revue ét. byzantines, 1951, 129 ff, Résumé in IURA 3, 448 ff.; andrerseits aber SOLAZZI, Arch. Giur. 1929, 13. Zum crimen calumniae: LAURIA, St. Ratti, 1934, 110 f.
18Die Unmöglichkeit der Leistung war für die Römer keine selbständige und einheitliche Kategorie. Die Veteres gingen für die stipulatio davon aus, daß eine geschuldete Speziessache bei Abschluß des Vertrags in retour natura sein müsse. Auch später mußte sie noch bestehen; nur wenn der Schuldner durch positives Tun schuldhaft das stipulierte Objekt vernichtete (oder in der weiteren Entwicklung: beschädigte) blieb die Obligation unberührt. Diese bekannte Regel der perpetuatio obligationis knüpfte für die stricti iuris-Verhältnisse an den prozessualen Gesichtpunkt der Geldverurteilung an, die ja nach Untergang des primären Leistungsobjekts immer noch möglich blieb. Für die bonae fidei iudicia wurde aber die nachträgliche, zu vertretende Unmöglichkeit der Erfüllung unter Absehung von dieser Kunstregel der perpetuatio auf Grund der bona fides erfaßt und ebenso die Ersetzung des Verzugsschadens (vgl. mit früherer Lit. GENZMER, SZ 1924, 100 ff.). Aus der bona fides ergab sich ferner eine wichtige Modifikation des älteren Satzes, daß der Vertragsgegenstand in rerum natura sein müsse. Der Kauf eines homo liber und einer res extra commercium scheint im klassischen Recht gültig, im Gegensatz zu der entsprechenden stip. auf dare, gewesen zu sein, weil die Verkäuferobligation nur die Einräumung des möglichen und rechtlich geschützten Besitzes am homo bona fide serviens und einer res extra commercium zum Inhalt hatte. Ferner wurde bei scientia, also dolus des Verkäufers, und ignorantia des Käufers die Kaufklage gegeben, wenn zur Zeit des Vertragsabschlußes die Leistung bereits unmöglich war, während bei beidseitigen Nichtwissen der Vertrag entfiel (D. 19, 1, 21 pr.; 18, 1, 58; itp. D. 18, 1, 57); VOCI, Scr. Ferrini 2, 361 ff., insbes. 367 und dazu ARANGIO-RUIZ, Compravendita, 209 f. Dieselbe aus der b.f. sich ergebende Lösung wird auf den Verkauf einer nicht bestehenden Forderung übertragen (cf. VOCI lc.) während beim Erbschaftskauf wohl das durchgängig übliche Stipulationsformular schon eine Garantie enthielt.
19Zu der nicht nur in der Frühzeit beobachteten Sitte, den Konsens durch Frage und Antwort klarzustellen, vgl. ROUSSIER. RH 1948, 210 f.; VOCI, Dottrina Rom. d. Contratto 1946. 168; WIEACKER, Societas 47 u. 2; - anders SOLAZZI, IURA II, 136, 1 u. 2.
20Auf ergänzende pacta bezieht sich die nachklassische Formulierung in D. 19, 2, 21; auch etwa D. 19, 1, 11, 1. Ebenso ist das pr. von D. 2, 14, 1 eine nachklassische Sentenz (vgl. aus der neueren Lit. etwa PRINGSHEIM ZS 1921, 652; DE VILLA, Obligatio naturalis 61; MASCHI, Conc. nat. 213; COING, Seminar VIII, 19. Vorsichtiger VOCI, Dottr. Contr. 298 f.) Nachklassisches Introduktorium auch D. 13, 5, 1 pr; vgl. aber die echten Stellen D. 19, 2; 19, 5, 9; 18, 3, 5; KOSCHEMBAR-LYSKOWSKI, Studi Riccobono 2, 159; BIONDI, Bonae Fidei Iud. 35 n. 2; MASCHI, Conc. naturalistica 105 n. 3; ARANGIO-RUIZ, Compravendita 174 n.l.
20aAuch die auf die Schranken der b.f. hinweisenden Formulierungen wie b. fides contraria fraudi et dolo sind ausweislich des Zusammenhangs, in dem sie auftreten, trotz ihrer substantiellen Echtheit, kaum als ursprüngliche Bestandteile von Klassikertexten anzusehen.
21Die terminologische Unterscheidung in pacta pro reo und pro actore, die keinen Sinn bei gegenseitigen Klagen hat (BIONDI, B.f.i. 32), wird bei den Byzantinern eine grundsätzliche; cf. ROTONDI, Scritti II, 263; DE VILLA, Usurae ex pacto 22.
22Dies neuere vor allem von KOSCHAKER (FS Hanausek 1925, 118 f., insbes. 139 ff.) und GROSSO, Studi Urbinati 1928; Efficacia dei patti nei b.f.i. in Memorie Torino 1928, 14 begründete Lehre von der Nichtinhaerenz der exc. pacti in den b.f.i.; vgl. auch STOLL, a.a.O. SZ 44, der sich mit Recht fragt, warum die b.f. nicht eine Berücksichtigung späterer erweiternder pacta zugelassen habe. Dies hängt offenbar mit einem von der Stipulation her beibehaltenen archaischen, klare Lösungen ermöglichenden Formalismus zusammen wie ihn Fritz Schulz in seinem Classical Law öfters hervorhebt. Zur Julianstelle D. 2, 14, 10, 2, die von einer Ergänzung der exc. pacti durch die exc. doli spricht, WESENBERG, Vertr. zug. Dritter 66; BECK, Überlegungen zum klassischen Vergleichsrecht, FS De Francisci IV, p. 8, Anm.
23So SIBER und GROSSO - im Gegensatz zur Auffassung STOLLS (diese gebilligt von KUNKEL bei JÖRS, 199; WIEACKER, Societas I, 92 ff.) - Auch die Aufhebung des Mandats durch Widerruf, die Nichtgewährung der actio tutelae gegenüber dem tutor cessans, weisen in dieselbe Richtung. Im Fideikommißrecht gilt der Parallelsatz «nuda voluntate fideicommissa infirmantur» (D. 32, 18); BOHACEK, Studi Bonfante 4, 323; DI MARZO, Mél. Girard 2, 145 ff.
24Vgl. STOLL ZS 44, 1 ff.; ZS 50, 557. So konnte der Richter Zinsenvereinbarungen durch pacta, die über den in der betr. Gegend üblichen Zinsfuß hinausgingen und nicht durch besondere Umstände gerechtfertigt erschienen, herabsetzen (cf Pap. D. 22, 1, 1 pr. - zwar auf Offizialzinsen bezogen). Dasselbe gilt für «vertragliche» Kompensation durch pacta, die seit Julian im b.f.i. erzwungen werden kann. Zum Kaufabschluß, um mit dem Kaufpreis eine bereits bestehende andere Forderung zu kompensieren cf SOLAZZI, Compensazione 2, Aufl. 227. Die Quellenaussagen, daß pacta nur auf factum nicht auf ius beruhen, sind freilich terminologisch verdächtig; zu D. 2, 14, 27, 2 DE VILLA, Usurae ex pacto 19 f.; GROSSO, Effic. dei patti 28; RISG 1928, 96; KASER, RIDA 2, 533.
25Vor allem bewiesen von KOSCHAKER, L'alienazione della cosa legata 1939, für das formlose Verhalten der Legatsaufhebung; vgl. auch SCHULZ, History of Legal Science 78 ff; BETTI, Ist. di Dir. Rom. 1947, 311, 42; unzugänglich war mir leider die von BETTI, Interpret. delle legge etc. 1947, 297 angeführte Schrift von GUARINO, Il principio Bella buona fede n. interpr. dei neg. giuridici. AUGUSTIN, Ep. 126, formuliert in Bezug auf Schwüre, daß «secundum expectationem eius cui iuratur» auszulegen sei (cf. BRASIELLO, Scr. Ferrini, Pavia, p. 528).
26Wenn z.B. zweifelhaft erschien, ob eine Sache nach allgemeinem Sprachgebrauch mit zum vermachten Hausrat, usw. gehöre, wurde schon von Q. Mucius u.A. darauf abgestellt, in welcher Weise sie im Hause des Erblassers objektiv verwendet worden war - vgl. die Stellen bei MASCHI, Studi sull'Interpretazione legati, 1938, p. 30 f., 61.
27Allerdings namentlich zur Aufdeckung gesetzwidriger Fideikommisse (cf. SIBER, RPr 358; KUNKEL-JÖRS 337; LEVY, SZ48, 677; einzelne andere Beispiele bei MASCHI a.a.O.).
28Die Zulässigkeit eigener Initiative des Beauftragten, wenn das Mandat nicht strikt gefaßt war und die Umstände es forderten (vgl. ARANGIO-RUIZ, Mandato 110 f.) muß im Prozeß eine Auslegung nach dem Geschäftszweck in sich geschlossen haben. Wir wissen im allgemeinen wenig über solche nähere Vertragsauslegung, die traditionell nicht die Aufgabe der Jurisprudenz, sondern des freien iudex war. Der freien Auslegung unterstand etwa die Frage in D. 21, 1, 19 pr, ob Anpreisung der Verkaufsobjekte nur commendandi causa oder als Garantiezusage erfolgt war. Vgl. auch den Satz, daß Nebenabreden bei Kauf und Miete zu ungunsten des Verkäufers und Vermieters ausgelegt werden (Pap. D. 2, 14, 39).
29D. 17, 1, 60, 4, SACHERS, SZ 1939, 484; anders ARANGIO-RUIZ, Mandato 191.
30Zu ihr ARANGIO-RUIZ, Resp. contr. 2. Aufl., 1933, 178. Eine dolus-abesse-Klausel betr. Abwesenheit von Arglist beim Kaufabschluß begegnet noch bei Paulas in D. 19, 4, 1 pr. Daß der Gebrauch solcher Stipulationen auf die Zeit vor der Einführung der b.f.i. zurückgeht, ist einleuchtend - aber waren sie noch im klassischen Recht notwendig? Vgl. 19, 2, 22, 3 v. 23 (Nichtigkeit).
31Dazu ARANGIO-RUIZ, Resp. contr. 18; GENZMER, SZ 1924, 110; MEYLAN, Mel. Cornil II 140; COING, FS Schulz I 103 und Seminar VIII.
32Vgl. besonders die eindrücklichen Entwicklungen von COING, Seminar VIII, 1950, 1 f., bes. 12 f. über die allmähliche Lösung des Kaufs von der wörtlichen Bindung an das Versprochene und dem Gebrauch ergänzender Stipulationen. Vgl. Anm. 37.
33Vgl. über die Eviktionsgarantie statt vieler ARANGIO-RUIZ, Compravendita II 345 ff; KASER SZ 1934, 172 ff. Die Garantiefunktion der actio empti ohne stipulato duplae oder habere licere quellenmäßig sicher nachgewiesen seit Julian, geht wahrscheinlich weiter zurück; KASER, lc. 170. Mit der strengrechtlichen Legatsklage haftet der Erbe selbst bei wissentlicher Übergabe eines diebischen Sklaven nicht und kann für den von diesem angerichteten Schaden nur mit der actio doli vom Legatar in Anspruch genommen werden (Afr. D. 30, 110 - vgl. LENEL, ZS 1931, 46; COING, Festschrift Schulz I, 103 n. 6). Entscheidung für die Vertragsklage hingegen beim vermieteten Sklaven in D. 19, 2, 45, 1 (dazu zuletzt SCHWARZ, SZ 1954, 133; vgl. D. 19, 2, 19, 1); über die Bedeutung desselben Tatbestandes bei den Konträrklagen s. S. 11 Anm. 41.
34Vgl. Zu der allgemeinen Verflechtung von Prozeß und Recht. KASER, Altr. Ius 174 ff.; ZS 1954, 230 (Trennung gegenüber den Tatsachen); aber andererseits den Hinweis SIBERS, FSchr. Wenger I (1944) 72, daß zuweilen in Rom bis in die Spätzeit nicht nur Tatsachen, sondern auch Rechte und Rechtsverhältnisse insbesondere durch Parteieide beweisbar erschienen.
35Das Neue, das die b.f. iudicia gebracht haben und wofür die Legisaktionen ungeeignet waren, hing (wie KASER, Altr. Ius 289 treffend zusammenfaßt) mit der Unbestimmtheit und Elastizität der Ansprüche zusammen. Insofern zeigt sich gewiß ein mittelbarer hellenistischer Einfluß, wie er sich im Staat seit den Scipionen und auch in der aufblühenden Rechtswissenschaft geltend macht; FRITZ SCHULZ in seiner Legal History hebt ihn schön hervor. Trotzdem erfolgten die Neubildungen aus innerrömischen Bedürfnissen und aus altrömischer Wurzel (vgl. für die loc. cond. Festgabe Lewald, 1 ff.). Die moderne rechtshistorische Betrachtung der ausgehenden Republik neigt noch heute gerne dazu, in ihr unter dem Einfluß Mommsens einen modernen demokratischen Staat zu sehen, während sie in ihrem gesamten Gefüge und in ihrem Denken viel weitgehender «archaisch» gebunden war als meist angenommen wird.
36Daß in diesem Sinn die iudicia b.f. «absolutoria» seien, ist zwischen Sabinianern und Prokulianern nicht streitig gewesen, wohl aber die dann durchgedrungene sabinianische Verallgemeinerung des Satzes. Er bildete bekanntlich auch das Kernstück der (älteren) Arbitärklagen. Zur Frage etwa neuerdings KASER, RIDA II, 526 mit Hinweis auf Singularitäten bei der actio rei uxoriae, die über den bei den bonae fid. iud. und auch sonst beobachteten Rahmen hinaus gehen.
37Wobei (vgl. oben S. 9) im Anfang der Entwicklung häufiger, dann zurücktretend Einzelheiten in diesem Gesamtrahmen durch Stipulationen festgelegt waren. Zur Rolle von Stipulationen innerhalb von bonae fidei Verträgen (keine Novation) vgl. vor allem DAUBE, SZ 1948, 119 ff.; ARANGIO-RUIZ, La società, 1950, 176 f.
38Vgl. statt vieler GENZMER, SZ 1924, 116. Auch KELLER, Litiskontestation und Urteil, 1827, 252 ff. charakterisierte die b.f. iud. schon dahin, daß «die ganze rechtliche Würdigung des Falles in das freie Arbitrium des iudex...gestellt wird ».
39WIEACKER, Societas 62 ff.; gegen ARANGIO-RUIZ verteidigt SZ 1952, 317 ff.
40Darauf dürfte ARANGIO-RUIZ (La società in dir. rom, 1950, 62; 180) in seiner Kritik gegen WIEACKER hinweisen; billigend zu ARANGIO-RUIZ' These, daß auch bei der societas Einzelansprüche vermittelst praescriptio geltend gemacht werden konnten, KADEN IURA 2 (1951), 234. Die Quellen sagen über diese praktisch wichtige Frage bekanntlich wenig aus, was z.T. auf Lücken bei Gaius, z.T, auf die Obsoletheit der Praeskriptionen im späteren Prozeß zurückzuführen ist. Auch der Verfasser möchte der Ansicht ARANGIO-RUIZ' folgen, die freilich sich nicht strikt beweisen läßt, aber u.a. durch die Kontinuität der historischen Entwicklung bestätigt wird (Zulässigkeit der Klage manente societate im Spätrecht).
41Die gelegentlich bestrittene Klassizität der actiones contrariae in den b.f. Verhältnissen ist durch die neuesten Untersuchungen von PROVERA, Contributi alla teoria dei iudicia (Mem. Ist Giur. Torino), 1951 und SCHWARZ, ZS 1954 mit weiterer Lit., außer Zweifel gestellt. Die sorgfältige Synthese von SCHWARZ kommt zu folgendem Entwicklungsbild: In einer ersten Periode wurde, soweit die Kompensation nicht genügte, die Möglichkeit einer Widerklage eingeführt und später die eigentlichen, selbständigen Konträrklagen, die praetorische actiones in factum (also nicht b.f.) waren und nur beschränkte Funktionen erfüllten, mit Ausnahme der reziproken b.f.-Doppelformel beim Mandat. Bei der Tutel (vgl. SCHWARZ, SZ 1954, 161 mit Lit., gegen BIONDI) besteht schon zur Zeit Labeos ein contr. iud., das sich auf Ersatz unumgänglich notwendiger Ausgaben beschränkt, und bei der neg. gestio tritt neben die actio in factum noch in der klassischen Zeit eine zivile b.f.-Konträrklage.
42Zur praescriptio oben Anm. 40. Eine nachträgliche Geltendmachung geschah nach praetorischer rescissio der früheren Litiskontestation, vgl. schon KELLER, Litisk. und Urteil, 510 ff., von dessen Quellen freilich einige nicht hierher gehören. Mehrfach wird insbesondere die Frage bei der actio tutela, in den Quellen erörtert, wenn nachträgliche Forderungen gegen den Vormund zum Vorschein kamen. Zu D. 26, 7, 46, 5 und C, 3, 1, 2 (replicatio doli gegen die exc. rei iudicatae der extraordin. cognitio angehörend) vgl. BIONDI, lud. b.f. 13.
43Vgl. oben Anm. 36. Zum Vermittlungsverfahren der b.f.i. DÜLL, Der Gütegedanke im röm. Zivilprozeßrecht, 1931, 56 ff.
44Ausdrückliche Fristansetzungen kommen vor bei Klagen auf Wiederherstellung, Restitution und Exhibition sowie bei exhibitorischen und restitutor. Interdikten (DÜLL, a.a.O. 60).
45Vgl. etwa schon KELLER (-WACH), Röm. Civilprozeß, 5. Auf. 1876, 322 ff.
46Vgl. weiter unten S. 22, Anm. 52.
47Vgl. die klassischen einleitenden Ausführungen von JAMES GOLDSCHMIDT, Der Prozeß als Rechtslage; 1925.
48Allgemeine Formulierungen wie D. 4, 2, 14, 13; 44, 4, 4, 33; 50, 17, 116 stellen dolus und metus auf dieselbe Ebene; in unserem Zusammenhang noch BIONDI, lc. 37; dies ist aber für das ausgebildete klassische Recht zweifelhaft (vgl. etwa LONGO, BIDR 1934, 106 ff.).
49Vgl. BIONDI, b.f.i. 5 ff. Der Satz ist bezeugt entweder in Stellen, die offenbar der extra ordinaria cognitio angehören oder in solchen lehrhaften Charakters, die deshalb als Glosseme verdächtig sind, außerdem meist aus nachklassisch überarbeiteten Schriften stammen. Die Übereinstimmung in der sprachlichen Fassung von D. 30, 84, 5 (sachlich nicht zu bezweifeln, aber Iulians Digesten sind gewiß weitgehend überarbeitet) mit der unklassischen Formulierung desselben Prinzips für die exceptio pacti in D. 18, 5, 3 u.ö. stimmt bedenklich (für Echtheit GROSSE, RISG 1928, 70). Völlig unverdächtig sind dagegen die zahlreichen Stellen, in denen die Klassiker das echte Prinzip im Fall der Aktionenkonkurrenz mit Deliktsklagen anwenden, ohne die Regel zu zitieren; so Iul. D. 19, 1, 28; D. 30, 84, 5.; Iav.-Cass. D. 47, 2, 72 (71) pr. Andere Stellen zeige die klassische Lösung neben dem Einschiebsel einer exc. doli: D. 19, 1, 5, 1; 9, 2, 61 pr. (BIONDI, 11 ff.) vgl. auch den Fall des Verkäuferdolus hinsichtlich von Eigenschaften der Kaufsache D. 19, 2, 22, 3 (hier darf man wohl im Zusammenhang mit eod. 23 (Miete) Nichtverpflichtetsein des Käufers bezw. Mieters annehmen) - während beim wissentlichen Verkauf einer fremden Sache Eviktionsschaden auch vor der Eviktion bei den Klassikern nur kraft stip. duplae ersetzt wird (D. 19, 1, 30, 1 und Parallelstellen); vgl. KASER; SZ 1934, n l. COING, FSchr. Schulz 105 f.; 110; 118; VOCI, Risarcimento danno e proc. formulare 1938, 72.
50Ältere Lit. bei BIONDI, Compens 44 n.l.-ARANGIO-RUIZ und SOLAZZI behandelten das Problem neu. ARANGIO-RUIZ, Pubbli. Fac. di Giurispr. Modena 45, 1930, trat für die Möglichkeit kondemnationsmindernder Einreden wieder ein, während SOLAZZI, Bull. Ist. Dir. Rom. 1934, 268 ff. sie mit der herrschenden Lehre verneint. Für die exceptio pacti, die ein pactum de non petendo in perpetuum geltend macht bei einer Teilforderung drängt sich aber doch in den b.f.iud. eine kondemnationsmindernde Wirkung auf.
51Vgl. SCHNORR VON CAROLSFELD, «Pluspetitio» bei P.-W. NS (mit Lit.); WENGER, Inst. d. röm. Zivilprozeßrechtes, 1925, 145 ff. Im Prozeß der extraord. cogn. und in Iustinians Kompilation war die pluspetitio nur noch von sehr beschränkter Bedeutung (vgl. aber PUGLIESE, Actio e dir. subiettivo, 270) - in diesen Rahmen gehört m.E. die Maxime von der Inhärenz.
52Durch die Impensenzahlung wird der exc. doli nachträglich (d.h. nach der litiscontestatio) die faktische Grundlage entzogen; vgl. ARANGIO-RUIZ, lc. 6; SOLAZZI, lc. p. 271. Es handelt sich offensichtlich nicht um eine Kompensation (diese war nur bei den bonae fidei iudicia möglich), sondern eine indirekte Aufrechnungsfunktion der klassischen exceptio doli. Eine solche kam der exceptio pacti hingegen nicht zu. Nur im bonae fidei iudicium konnten gewisse künftige Ansprüche durch Auferlegung von Kautionen elastisch berücksichtigt werden (vgl. unten S. 14). Daß die exc. pacti im klassischen b.f.i. ausdrücklich als solche eingeschaltet werden mußte, ist seit KOSCHAKERS Untersuchungen in der Festschrift für Hanausek außer Zweifel. Dies gilt nicht für vertragliche Kompensation im Prozeß.
53SOLAZZI, Comp. 5 f. - m.E. wurde der Kläger regelmäßig veranlaßt, seinen Anspruch selbst herabzusetzen.
54BIONDI, B.f.iud. 6. Bei manchen b.f. Verhältnissen war überdies zum Ausgleich eine actio contraria oder eine selbständige Gegenklage möglich, wenn der arbiter die compensatio nicht vornahm oder diese nicht genügte u.s.f. Wurde über die Verrechnung vom iudex nicht befunden, so war die spätere Geltendmachung des Gegenanspruches ungehemmt (neuerdings etwa SCHWARZ, ZS 1954, 19 f., der im Anschluß an KRELLER, SIBER und WIEACKER zutreffend betont, daß die compensatio keine Aufrechnung im Sinne des modernen Rechts war, sondern eine einheitliche Abwicklung konnexer Forderungen. Sie führte, da überall im Zusammenhang mit der Geldverurteilung eine Geldbewertung vorgenommen wurde, zu einer in Geld ausgedrückten Differenz bezw. Gutschrift - sofern nicht eine Partei noch im Prozeß realiter erfüllte; cf. oben.
55Interessant D 19, 2, 19, 3 wonach dem Pächter, der abgemacht hatte, daß er einen Teil des Zinses in Natura leisten dürfe, sein spezielles Interesse an dieser ihm bequemeren Leistungsart im iudicium locati kompensationsweise berücksichtigt wird (COSTA, Locazione 23; VOCI, Resarcim. danno e proc. formul. 70).
56Betr. Paul.-Sabinus D. 17, 2, 30 pr. immerhin fraglich, ob schon Sabinus den Grundsatz über das iudicium societatis hinaus für alle bonae fidei iud. ausgesprochen hat. Jedenfalls muß die Stelle nachklassisch überarbeitet sein (cf. zuletzt WIEACKER, SZ 1952, 318). In Papin. D. 5, 1, 41 wird der allgemeine Grundsatz der Kautionsauferlegung für alle bonae fidei iud. und für die rei vindicatio ausgesprochen, die aber nur nach justinianischer Auffassung bei Erhebung einer exceptio doli zu einem bonae fidei iudicium wird. Ähnlich das Glossem in D. 39, 6, 42 pr (vgl. AMELOTTI, Mortis causa donatio 1953 106 ff., 110 mit Lit.). Vgl. auch D. 17, 2, 38 pr.; 17, 2, 27.
57Sie eignet auch den arbiträren reddere-Klagen (KASER, Quanti ea res est, 33, n. 2). Vgl. etwa D. 44, 4, 4, 7; D. 6, 1, 27, 4.
58Die Klassifizierung in cautiones iudiciales und solche, die a mero iudicis officio proficiscuntur ist nachklassisch; cf. VASSALLI, Scr. I, 411 N. 1; vgl. auch ebendort 409 die Zusammenstellung der Quellen.
59So beim fullo und sarcinator, die für ihnen zur Reparatur übergebene Sache eine Risikohaftung (custodia) trugen: D. 19, 2, 25, 8; 19, 2, 60, 1 (Anfang itp.); ähnlich bei der Sachmiete D. 6, 1, 21; für das Kommodat vgl. D. 12, 7, 2 und D. 13, 6, 13 pr. (dazu VOCI, Dottr. contr. 111 N. 1). Dieselbe Einrichtung begegnet auch bei actiones in factum und actiones in rem, vgl. etwa CARELLI, Litis aestimatio 51.
60Die Möglichkeit bestand ebenfalls etwa bei den actiones in rem und den restitutorischen Klagen in personam, insbesondere auch bei actiones in factum depositi und commodati. Die Kompilatoren haben auch hier für die bonae fidei iudicia verallgemeinert. Vgl. jetzt vor allem PROVERA, Iusiuranduin in litem 1953, insbes. p. 6, 42 f., 51, 57.
61Vgl. zuletzt E. LEVY, IURA 3 (1952) 155 ff.; KASER, SZ 1954, 221 ff.; STEINWENTER SZ 1947, 86 ff. SIBER, Festschrift Wenger I 82 zeigte, daß im klassischen Prozeß der später gesetzlich eingeführte Verjährungsgedanke insofern vorweggenommen war als veraltete Forderungen im allgemeinen als nicht mehr beweisbar betrachtet wurden. - Vgl. auch J. Ph. LEVY, Studi Solazzi, 1948, 417 ff. Die Abkehr der röm. Juristen von Beweisfragen dürfte sich aber weniger aus eine «espèce de dédain» erklären als vielmehr aus den Grenzen des ius respondendi, das sich nur auf die rechtliche Seite des Tatbestandes im Sinne der Prozeßformeln beziehen konnte (STEINWENTER lc. 87 f.).
62ERNST LEVY l.c. 156 f.; 161. Unbestritten ist jedoch die Herrschaft von Vermutungen in der extraordinaria cognitio; in diesen Rahmen zustellen ist ein Reskript von Septimius Sev. und Caracalla. (Ulp. D 19, 2, 9, 4), das dem Schuldner auferlegt, die ihn entlastenden Umstände (gewaltsames Forttreiben von gehüteten Ziegen durch Räuber) zu beweisen.
63Lit. zum «contractus» bonae fidei etwa bei GUARNERI CITATI, Studi Riccobono I 713.
64Wie auch der justinianische Katalog der bonae fidei iudicia vermehrt wird unter Einbezug der früheren actiones in factum (S. 1, Anm.). Parallel geht die Verschmelzung von Legaten und Fideikommissen, dem neuen merkwürdig schillernden bonae-fidei-Vermächtnis. - vgl. COLLINET, Nature des Actions, 225 f. BIONDI, Conferenze Milano, 166 f.
65PRINGSHEIM, SZ 1932, 99. Typisch für die Verbindungen von aequitas und bona fides etwa das interpolierte Fragment aus einer Konstitution Diokletians C. 4, 10, 4: bonam fidem in contractibus considerar aequum est.
66Nach D. 5, 1, 14, wird durch Erhebung einer exceptio doli die rei vindicatio ein bonae fidei iudicium, das die Auferlegung von Kautionen gestattet. Derselbe Gedanke findet sich auch in D. 39, 6, 42 pr. als Glossem (AMELOTTI, Donatio mortis causa 1953, p. 47 N. 116 mit Lit.); über die Teilungsklagen als bonae fidei iudicia im just. Recht BIONDI b.f. iud. 55 N. 2, 218 ff.; entsprechende außergerichtliche Teilung in der itp. Const. C. 3, 38, 3; vgl. über die klassischen Ansätze GAUDEMET, Indivision 412 f., 416. Die actio ex stipulatu zur Dosrückgabe und die hereditatis petitio werden zu bonae fidei actiones aus inhaltlichen Gründen; vgl. etwa COLLINET, Nature des Actions, 1947, 226; zur transatcio PETERLONGO, La transazione 324 f.; zur Aufspaltung der tutela in einzelne materielle Pflichten LEVY, SZ 37, 16 ff.
67Die nun unbestritten kondemnationsmindernd wirken kann, vgl. oben, S. 13.
68Nicht nur wird nämlich die Kompensation im just. Recht ein allgemeines, mittelst exceptio doli durchsetzbares Institut, sondern sie wird dem Ermessen des Richters entzogen. Sie wirkt ipso iure und auf Grund fester Kriterien (cf. SOLAZZI, Compensazione, 1950, 147 f.).
69Neuerdings eindrücklich LANGE, ZS 1954, insbes. 323 f. über die Auffassung der Glossatoren, daß das ius aequum vor Bedürfnissen der Allgemeinheit halt machen müsse. ULLMANN, The medieval idea of Law as represented by Lucas de Penna, 1946, weist 122 N. 2 auf einen höchst charakteristischen Ausspruch Azo's hin (Brocardica 76): certum esse aequitatem stricto iuri esse praeferendam ... aequitatem, dico, lege, non cuiusquam ingenio excogitatum. Vgl. schon PRINGSHEIM, Beryt und Bologna, Festschr. Lenel 1921, 204 ff.
70Neuerdings über die Bedeutung der kanonischen aequitas ULLMANN, lc. 41 ff. (Zitate des Lucas wie «(lex) est aequitatis forma», «in casibus quidem, in quibus ius non invenitur expressum procedendum est aequitate servata»). Für den Zusammenhang der kanonischen Aequitas mit der englischen Equity möchte ich im deutschsprachigen Schrifttum die schöne, leider an sehr abgelegenem Orte publizierte Abhandlung von WOHLHAUPTER, «Der Einfluß naturrechtlicher und kanonischer Gedanken auf die Entwicklung der englischen Equity» (Acta Congressus Iuridici Internationalis, Rom 1935 II 437 ff.) in Erinnerung bringen; über dem kontinentalen Treu- und Glaubensbegriff ähnliche Endergebnisse der englischen Equity auch MARTIN WOLFF, Traité de Droit comparé, hsg. v. Arminjon-Nolde-Wolff, 1950, II p. 249 ff.
71Vgl. etwa BUSSI, Formazione dei dogmi di diritto privato, I 1937, 4 f.
72GENZMER, I Glossatori (Sonderdr. aus Archivio Giuridico vol. 119, 1938), 8.
73Art. 1134 Abs. 3 c.c.fr.: Les conventions légalement formées ... doivent être exécutées de bonne foi; 1135: Les conventions obligent non seulement à ce qui y est exprimé, mais encore à toutes les suites que l'équité, l'usage ou la loi donnent à l'obligation d'après sa nature. Diese zweifellos romanistische Formulierung knüpft eng an Domat an (Lois civiles dans leur ordre naturel, 2 éd., 1695, Sect. III c. XII): «Il n'y a aucune espèce de convention où il ne soit sousentendu, que l'un doit à l'autre la bonne foi, avec tous les effets que l'équité peut y demander; tant en la, manière de s'exprimer dans la convention que pour l'exécution de ce qui est convenu.»
74HEDEMANN, Die Flucht in die Generalklauseln 1933, 4 f. wies nach, daß die exceptio doli generalis in der Rechtsprechung des Reichsgerichts erst 1886 zum ersten Mal erscheint und von da ab in steigendem Maße von einem selten gebrauchten Hilfsmittel zu einem grundlegenden Rechtsbegriff wird, der mit Treu und Glauben gleichgesetzt wurde. S. 8 verweist auf die Anknüpfung an die römische b.f, und den guten kaufmännischen Gebrauch, der schon in einem Edikt Friedrich Wilhelms I. von 1736 mit Treu und Glauben umschrieben wird. BGB 157 und 242 stimmen mit § 858 des sächsischen Gesetzbuches von 1865 überein. Vgl. auch HEDEMANN, Fortschritte des Zivilrechts I, 1910, 118 f.
75REGELSBERGER, Pandekte 1893, 686: «in der prozessualen Bedeutung ist die exceptio doli für uns weggefallen. Dagegen ist der materielle Begriff in unser Recht übergegangen, daß eine Rechtsverfolgung unzulässig ist, die mit den Grundsätzen von Treu und Glauben in Widerspruch steht. Ein so allgemeiner Grundsatz ist freilich nicht ohne Bedenken, da er dem richterlichen Ermessen einen ungewöhnlich freien Spielraum läßt. Allein eine Rechtsprechung, die mit dem lebendigen Rechtsbewußtsein des Volkes in Einklang bleiben will, kann seiner nicht entraten. Bewußte Rechtswidrigkeit des Klägers ist kein Erfordernis (D. 45, 1, 36).» Auch HARTMANN, BECHMANN, IHERING u.a. haben sich in ähnlicher Weise ausgesprochen; ferner DERNBURG, Pand. I 138 a.E.; Zusatz von KIPP zu WINDSCHEID, Pand. I 179 Anm. 7: «In der Praxis ist die exceptio doli häufig nichts als der Ausdruck für die Geltendmachung des Prinzips der bona fides von Seiten des Beklagten, was dem römischen Grundsatz der exceptio ganz entspricht.»
76Schon im Recht der Schuldverhältnisse, 1897, 36 f.; vgl. S. 43: «Treu und Glauben» ist die Norm zur Entscheidung eines rechtlichen Streites, welche in einer besonderen Sachlage im Sinne des sozialen Ideals das Richtige angibt: Dagegen etwa ENDEMANN, Einführung in das Studium des Bürgerlichen Gesetzbuches 1898, 423 f. STAMMLER betont gegenüber der Freirechtslehre in seiner Theorie der Rechtswissenschaft, 1911, 728, daß «das Urteilen nach Treu und Glauben oder wie man sonst das Suchen nach objektiv richtigen Ergebnissen in rechtlichen Fragen bezeichnen mag, als juristisches Urteil nach gesetztem Recht geschieht.».
77GUHL, Eugen Huber, Schweizer Juristen der letzten 100 Jahre; 1944, S. 334.